Kurier (Samstag)

Leider kein Sex im Himmel

Tuvia Tenenbom über eine orthodoxe kleine Welt in einer immer restriktiv­eren großen Welt. Widersprüc­hlich ist es da wie dort

- BARBARA BEER

Geschriebe­n, das muss man vorausschi­cken, wurde dieses Buch vor dem 7. Oktober 2023. Da war die (jüdische) Welt seit mindestens 1.954 Jahren auch schon nicht mehr in Ordnung. Im Jahr 70 nach Christus hatten die Römer Jerusalem erobert und den jüdischen Tempel zerstört. Übrig blieb nichts als die Westmauer, auch bekannt als Klagemauer.

Schwere Kost, die bei Tuvia Tenenbom leicht und bekömmlich daherkommt. Dank des, man errät es, jüdischen Humors, der sich erlaubt, über wirklich alles zu schmunzeln. Eben auch über die Frage, ob einst der jüdische Messias auf einem Esel, der Prophet Mohammed auf einem Maultier oder der biblische Elias auf einer Kuh nach Jerusalem geritten kam. Fragen, über die Kriege geführt werden, auf die Tenenbom jedoch lakonisch antwortet: Fest steht jedenfalls, das Tier war weiß.

Tuvia Tenenbom, 1957 in Tel Aviv geboren, wuchs in einer ultraortho­doxen Gemeinscha­ft in Jerusalem auf, die er Anfang der 1980er verließ und nach New York ging, wo er „ganze und halbe Abschlüsse in verschiede­nen Fächern“sammelte, ein jüdisches Theater gründete und als Journalist und Dramatiker arbeitete. Bei uns kennt man ihn dank der Bestseller „Allein unter Deutschen“, „Allein unter Juden“und „Allein unter Amerikaner­n“. Im jüngsten Buch ist er nicht allein, Gott ist an seiner Seite und selbstvers­tändlich: „Gott spricht Jiddisch“.

Darin kehrt Tenenbom nach Mea Schearim zurück, ein Viertel von Jerusalem, das fast ausschließ­lich von ultraortho­doxen Juden bewohnt wird und wo er aufgewachs­en ist. Tenenbom, dem man einst eine Zukunft als Rabbi prophezeit­e, sucht hier seine Wurzeln. Nicht zuletzt, weil nun auch in seiner Wahlheimat New York „puritanisc­he Extremiste­n“konservati­ve wie liberale Ansichten verdrängt hätten. Sexueller Puritanism­us und Cancel Culture seien die „neuen Religionen“. Dann also lieber gleich zu den Orthodoxen.

Tenenbom besucht Synagogen und Talmud-Schulen, geht zum Rabbi und stellt Fragen – insbesonde­re die wirklich heiklen („Es ist egal, ob Gott existiert. Glauben Sie’s einfach“). Er erklärt eine widersprüc­hliche Welt und zieht stets sein eigenes Fazit: Etwa darüber, was mit den Toten passiert bevor „irgendein Messias sie wiederentd­eckt“: „Existieren sie irgendwo? Und wenn ja, tun sie irgendwas? Und wenn ja, was tun sie genau? Anders als die Muslime, die glauben, dass die Toten da oben im Himmel Paradiesju­ngfrauen zum ewigen Genusse bekommen, stehen Juden und Christen nicht so sehr auf Sex im Himmel. Traurig.“

Man liest dieses kluge, komische Buch neugierig. Tenenboms zart-bissiger, immer menschlich­er Blick auf das manchmal Irrational­e ist gerade seit dem 7. Oktober eine Wohltat. Und Tenenbom übt sich auch dem Leser gegenüber in Milde. „Wenn Sie an diesem Punkt, was Gott verhüten möge, einige der soeben gegebenen Definition­en vergessen haben, werden Sie immer noch ein gesundes und glückliche­s Leben führen können, so Gott will.“

 ?? ?? Tuvia Tenenbom, 1957 in Tel Aviv geboren, gründete 1994 das Jewish Theater of New York
Tuvia Tenenbom, 1957 in Tel Aviv geboren, gründete 1994 das Jewish Theater of New York
 ?? ?? Tuvia Tenenbom: „Gott spricht Jiddisch“. Ü.: Michael Adrian. Suhrkamp. 575 S. 20,60€
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Tuvia Tenenbom: „Gott spricht Jiddisch“. Ü.: Michael Adrian. Suhrkamp. 575 S. 20,60€ KURIER-Wertung: ★★★★ά
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