Moll & Stur
Jetzt weiß ich, warum das Neujahrskonzert so völkerverbindend ist. Bei „Seitenblicke“gestand Herr Froschauer, Wiener Vorstand der Wiener Philharmoniker, er würde während der Aufführung immer an Wiener Schnitzel, Apfelstrudel oder Kaiserschmarren denken. Der in Berlin geborene Neujahrskonzert-Dirigent Thielemann aber meinte: „Diese Musik mit ihren Tempoabstufungen, ihren dynamischen Raffinessen ist die delikateste Musik, die es gibt.“Letztendlich haben die beiden haargenau das Gleiche gesagt, die einheimische Version war aber plakativer.
Und Christian Thielemann weiter: „Wenn ich zu sehr dirigiere, dann würde ich stören“. Ich habe mich immer schon gefragt, inwieweit das Orchester dem Dirigenten gehorcht oder doch die Dickköpfigkeit dirigiert.
Dem früheren Wiener PhilharmonikerMitglied und langjährigem Neujahrskonzertdirigenten Willi Boskovsky hat man ja auch eine gewisse Bockigkeit nachgesagt. Was ihn mit uns allen verband – auch er wollte schön sein.
Ein Philharmoniker hat mir erzählt, dass Boskovsky einmal in einer Mehrzweckhalle, die als Eislauf-Arena genutzt wurde, auftreten sollte. Noch während der Begehung weigerte sich Boskovsky, dort zu spielen, konnte jedoch nach langem Zureden und der Versicherung, er könne im Pelzmantel auftreten, zu einem Auftritt überredet werden.
Am Abend war die gesamte Eisfläche mit Isolierplatten abgedeckt, Heizkanonen sorgten für nahezu sommerliche Temperaturen und alle waren glücklich. Während die Herren in den ersten Reihen angesichts der hohen Temperaturen ihre Krawatten lockerten und sich die Damen mit den Programmheften Frischluft zufächelten, erschien das Orchester unter auf der Bühne.
Dann der Dirigent Boskovsky, der sich von keinerlei Temperaturschwanken aus dem Gleichgewicht hatte bringen lassen, in einem nahezu bodenlangen Pelzmantel. Das Publikum dürfte sich verwundert gezeigt haben und war wahrscheinlich noch mehr erstaunt, dass Boskovsky auch nach der Pause in Fell gehüllt erschien.
Noch nie in der Geschichte der Menschheit wurde der Begriff „stur“so plakativ in die Realität umgesetzt.