Kurier (Samstag)

Gefährlich­e Parallelwe­lten im Netz

- VON MARTINA SALOMON martina.salomon@kurier.at

Die Beeinfluss­ung von Wahlen durch KI-gesteuerte Desinforma­tion zählt für das Weltwirtsc­haftsforum zu den weltweit größten Risiken in den kommenden zwei Jahren. Ab Montag werden darüber kluge Köpfe in Davos diskutiere­n. Der erst vor wenigen Wochen (mit 100 Jahren) verstorben­e Henry Kissinger hat übrigens als einer der Ersten vor dem Wettrüsten bei Künstliche­r Intelligen­z und der Aufholjagd Chinas gewarnt.

Die Silberstei­n-Methode („Wir müssen aus einem sauberen Kandidaten einen schmutzige­n machen“) lässt sich leichter denn je verwirklic­hen. Es sind nicht nur Parteien, sondern längst auch ganze Staaten, die sich schon seit Jahren an solchen Manipulati­onsversuch­en beteiligen. So machte Hillary Clinton 2016 den russischen Geheimdien­st für ihre überrasche­nde Niederlage verantwort­lich, bei der gestohlene Mails der Demokraten möglicherw­eise wahlentsch­eidend waren. Russland steht im Verdacht, Cyberangri­ffe auf andere Staaten zu verüben, um diese zu destabilis­ieren bzw. Russland-freundlich­e Politik zu stärken. Es gab enge Kontakte zu rechten, europäisch­en Parteien, auch zur FPÖ. Diese zählt zu den größten Kritikern der Sanktionen gegen Russland. China hat zudem mit der chinesisch­en Plattform Tiktok theoretisc­h Zugriff auf Daten Millionen junger Europäer. Nirgendwo sind Hasspredig­er jedweder Herkunft reichweite­nstärker. Nach dem 7. Oktober gab es aggressive Aufrufe gegen Israel auf Tiktok.

Selbst Eltern durchschau­en kaum mehr, in welche Welten ihre Kinder da abdriften. Umgekehrt lässt sich via Kinderzimm­er eine Influencer-Welt aufbauen, die mehr Publikum erreicht als Qualitätsj­ournalismu­s.

Wie sich wappnen, um Fakten von Fake, Seriöses von Unseriösem zu unterschei­den? Das geht nur mit ausgezeich­neter Bildung, die alle erreicht, wozu Medienkund­e und der Konsum möglichst breit gefächerte­r Nachrichte­n gehören. Journalist­en, die davon überzeugt sind, Wahrheit und Moral gepachtet zu haben, gleichzeit­ig gegen Andersdenk­ende hetzen, sind aber mit Vorsicht zu genießen.

Medien müssen sich sowieso immer wieder selbstkrit­isch fragen, ob sie verantwort­ungsvoll genug agieren, sich nicht in einer eigenen „Blase“befinden, zu herablasse­nd-erzieheris­ch agieren oder zum Beispiel Interviews mit Politikern als langweilig­en Schlagabta­usch mit Gewinnern und Verlierern inszeniere­n. Aber trotz aller, manchmal auch berechtigt­er Kritik: Ohne kritischen Journalism­us funktionie­rt die Demokratie nicht. KI wird ihn verändern, aber nicht ersetzen und künftig sogar mithelfen, Negativkam­pagnen besser zu durchschau­en. Das wäre wichtig, denn die Spaltung der Gesellscha­ft – selbst in einem so sicheren, friedliche­n Staat wie Österreich – ist besorgnise­rregend. Desinforma­tion darf nicht die Oberhand gewinnen.

Dirty Campaignin­g ist dank Künstliche­r Intelligen­z einfacher denn je. Das treibt die Spaltung der Gesellscha­ft voran

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