Taiwan-Wahl entscheidet über Verhältnis zu China
Drohgebärden noch in der Wahlwoche
Taiwan. Am Dienstag sorgte eine Meldung der Regierung bei Millionen Menschen auf der Insel Taiwan für einen Schreckmoment: Sie erhielten eine Notfall-Benachrichtigung auf ihrem Handy, weil ein chinesischer Satellit den taiwanischen Luftraum durchquerte. Die Stimmung auf der Insel war unmittelbar vor der Präsidentschaftswahl am heutigen Samstag angespannt. Nie zuvor blickte die Welt so gebannt auf eine Taiwan-Wahl, selten galt der Ausgang als so unvorhersehbar: Erstmals stehen gleich drei Kandidaten zur Auswahl, zudem versucht der große Nachbar China in einer nie da gewesenen Art und Weise in den Wahlkampf einzugreifen – auch mit militärischen Drohmanövern.
Geht es nach Taiwans Präsidentin Tsai Ing-Wen, die nach zwei Amtszeiten nicht mehr kandidieren darf, soll ihr Stellvertreter auch ihr Nachfolger werden: Vizepräsident William Lai verspricht, den Kurs der aktuellen Regierung fortzusetzen; Taiwan international als eigenständigen Akteur zu positionieren und Abhängigkeiten von China zu verringern, um künftig weniger von den Launen Pekings abhängig zu sein.
Alles ist möglich
Vor einer Wahl dürfen in Taiwan zehn Tage lang keine politischen Umfragen mehr veröffentlicht werden. In den letzten publizierten Befragungen liegt Lai jedoch im
Schnitt mit 36 Prozent an der Spitze. Dahinter folgen die beiden Oppositionskandidaten, die für ein besseres Verhältnis zu China eintreten: Hou You-ih von der nationalistisch-konservativen Kuomintang mit knapp 30 Prozent, der mit seiner eigenen Bewegung antretende Kandidat Ko Wen-je (TPP) bildet mit durchschnittlich 24 Prozent das Schlusslicht.
Weil neben dem Präsidenten auch die Vertreter des Parlaments gewählt werden, ist durchaus wahrscheinlich, dass die Kuomintang und Ko Wenjes TPP gemeinsam auf mehr als die Hälfte der Sitze im taiwanischen Parlament kommen. Ein Präsident Lai wäre in diesem Fall zwar in Fragen der Verteidigung und Außenpolitik weiter handlungsfähig, vor allem beim Budget aber auf die Opposition angewiesen – eine völlig neue Situation, die es so in Taiwan noch nicht gab.
Angesichts der außergewöhnlichen Voraussetzungen bezweifeln manche Beobachter hinter hervorgehaltener Hand die Zuverlässigkeit der Umfragen. Sollte einer der beiden Oppositionskandidaten Präsident werden, könnte eine wirtschaftliche Annäherung an China die Folge sein. Das dürfte den Konflikt zwar kurzfristig beruhigen, doch spätestens im Herbst, wenn in den USA ein neuer Präsident gewählt wird, dürfte wieder Feuer in die Dreiecksbeziehung Peking-Taipei-Washington kommen.