Mitten in der Weltpolitik
Schon der Wiener Kongress bewies, wie gern die heimische Politik auf der internationalen Bühne tanzte. Doch stimmt die Erzählung der großen Vermittlerrolle des nunmehr kleinen Landes?
Österreich genieße guten Ruf als „Brückenbauer“, merkte ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer im April 2022 an, um damit seine Reise zu Wladimir Putin zu begründen. Wieder einmal wurde Österreich als „Friedenstifter“angeboten, wieder die Neutralität ausgespielt, wieder auf die Erfahrung Österreichs in der Vermittlerrolle hingewiesen.
Angeknüpft wurde dabei an jene Tradition, die bei der Machtpolitik des Wiener Kongresses im 19. Jahrhundert begann und bis zum Atomabkommen mit dem Iran 200 Jahre später reichte. Doch wie korrekt ist die Erzählung des kleinen Landes als Vermittler in der großen Weltpolitik, vor allem in der Zweiten Republik? Historikerin Sarah Knoll von der
Universität Graz sieht im Drängen der heimischen Politik auf die internationale Bühne auch die Suche nach einem neuen Selbstbild.
Zentrum der Diplomatie
Obwohl man sich „das Narrativ des ersten Opfers geschaffen hatte“, hing dem Land dennoch der Nationalsozialismus nach, analysiert Koll. „Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Staatsvertrag brauchte man ein neues Image, als Friedensstifter, als Vermittler zwischen West und Ost, im humanitären Engagement.“
Tatsächlich schaffte es Österreich respektive Wien mehrmals, zum Zentrum der internationalen Diplomatie zu werden, wenn auch nicht mehr im pompösen Ausmaß
eines Wiener Kongresses, der nach heutiger Währung 100 Millionen Euro kostete. John F. Kennedy traf hier 1961 Nikita Chruschtschow, das Ergebnis war aber mager: Ost und West einigten sich bloß auf die Unterstützung eines „neutralen und unabhängigen Laos“– und ein paar Wochen nach dem Gipfel begann der Bau der Berliner Mauer.
Wien inszenierte sich dennoch weiterhin als Mittelpunkt der Weltgeschichte: 1979 traf Jimmy Carter hier Leonid Breschnew, Bruno Kreisky begrüßte Jassir Arafat. Gerade der SPÖ-Bundeskanzler spielte die außenpolitische Karte dann in Kombination mit der Neutralität als Sicherheitsnarrativ auch in der Innenpolitik. Es folgten internationale Konferenzen, etwa jene 2015 über das Atomabkommen mit dem Iran. „Da geht es natürlich um die Außenwirkung“, macht Historikerin Knoll deutlich. „Es ging immer auch darum, Österreich international sichtbarer zu machen.“
Der Ruf aus Wien
In dieses Bild passen auch die internationalen Behörden, die ihre Quartiere in Wien aufschlugen. Die Atomenergiebehörde kam 1957, die OPEC 1965, das Vienna International Center vulgo UNO-City wurde 1979 fertiggestellt. „Mit derAtombehördeziehtÖsterreich das erste Mal den Schluss, dass es eine tolle Sache ist, solche Organisationen ins Land zu bekommen“, resümiert Knoll. In den 1960er-Jahren wurde sogar eine
Arbeitsgruppe allein für den Zweck gegründet, Behörden von Weltruf ins Land zu holen. Die Organisationen kamen aber nicht wegen des Wiener Charmes allein: Österreich hat der UNO beispielsweise ein „sehr, sehr gutes Angebot gemacht, Steuererleichterungen, die Finanzierung des Baus, steuerfreie Einkäufe für die Beschäftigten“, zählt Knoll auf.
Der Imageplan scheint aufgegangen zu sein. „Zwischen Vermittlerrolle, Neutralität und internationalen Organisationen ist eine Symbiose hergestellt worden“, betont Knoll. „Sie wurde sowohl von der Politik als auch der Gesellschaft aufgenommen.“