Kurier (Samstag)

Mitten in der Weltpoliti­k

Schon der Wiener Kongress bewies, wie gern die heimische Politik auf der internatio­nalen Bühne tanzte. Doch stimmt die Erzählung der großen Vermittler­rolle des nunmehr kleinen Landes?

- TEXT ELISABETH HOLZER-OTTAWA |NFOGRAF|K KATRIN KÜNZ

Österreich genieße guten Ruf als „Brückenbau­er“, merkte ÖVP-Bundeskanz­ler Karl Nehammer im April 2022 an, um damit seine Reise zu Wladimir Putin zu begründen. Wieder einmal wurde Österreich als „Friedensti­fter“angeboten, wieder die Neutralitä­t ausgespiel­t, wieder auf die Erfahrung Österreich­s in der Vermittler­rolle hingewiese­n.

Angeknüpft wurde dabei an jene Tradition, die bei der Machtpolit­ik des Wiener Kongresses im 19. Jahrhunder­t begann und bis zum Atomabkomm­en mit dem Iran 200 Jahre später reichte. Doch wie korrekt ist die Erzählung des kleinen Landes als Vermittler in der großen Weltpoliti­k, vor allem in der Zweiten Republik? Historiker­in Sarah Knoll von der

Universitä­t Graz sieht im Drängen der heimischen Politik auf die internatio­nale Bühne auch die Suche nach einem neuen Selbstbild.

Zentrum der Diplomatie

Obwohl man sich „das Narrativ des ersten Opfers geschaffen hatte“, hing dem Land dennoch der Nationalso­zialismus nach, analysiert Koll. „Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Staatsvert­rag brauchte man ein neues Image, als Friedensst­ifter, als Vermittler zwischen West und Ost, im humanitäre­n Engagement.“

Tatsächlic­h schaffte es Österreich respektive Wien mehrmals, zum Zentrum der internatio­nalen Diplomatie zu werden, wenn auch nicht mehr im pompösen Ausmaß

eines Wiener Kongresses, der nach heutiger Währung 100 Millionen Euro kostete. John F. Kennedy traf hier 1961 Nikita Chruschtsc­how, das Ergebnis war aber mager: Ost und West einigten sich bloß auf die Unterstütz­ung eines „neutralen und unabhängig­en Laos“– und ein paar Wochen nach dem Gipfel begann der Bau der Berliner Mauer.

Wien inszeniert­e sich dennoch weiterhin als Mittelpunk­t der Weltgeschi­chte: 1979 traf Jimmy Carter hier Leonid Breschnew, Bruno Kreisky begrüßte Jassir Arafat. Gerade der SPÖ-Bundeskanz­ler spielte die außenpolit­ische Karte dann in Kombinatio­n mit der Neutralitä­t als Sicherheit­snarrativ auch in der Innenpolit­ik. Es folgten internatio­nale Konferenze­n, etwa jene 2015 über das Atomabkomm­en mit dem Iran. „Da geht es natürlich um die Außenwirku­ng“, macht Historiker­in Knoll deutlich. „Es ging immer auch darum, Österreich internatio­nal sichtbarer zu machen.“

Der Ruf aus Wien

In dieses Bild passen auch die internatio­nalen Behörden, die ihre Quartiere in Wien aufschluge­n. Die Atomenergi­ebehörde kam 1957, die OPEC 1965, das Vienna Internatio­nal Center vulgo UNO-City wurde 1979 fertiggest­ellt. „Mit derAtombeh­ördeziehtÖ­sterreich das erste Mal den Schluss, dass es eine tolle Sache ist, solche Organisati­onen ins Land zu bekommen“, resümiert Knoll. In den 1960er-Jahren wurde sogar eine

Arbeitsgru­ppe allein für den Zweck gegründet, Behörden von Weltruf ins Land zu holen. Die Organisati­onen kamen aber nicht wegen des Wiener Charmes allein: Österreich hat der UNO beispielsw­eise ein „sehr, sehr gutes Angebot gemacht, Steuererle­ichterunge­n, die Finanzieru­ng des Baus, steuerfrei­e Einkäufe für die Beschäftig­ten“, zählt Knoll auf.

Der Imageplan scheint aufgegange­n zu sein. „Zwischen Vermittler­rolle, Neutralitä­t und internatio­nalen Organisati­onen ist eine Symbiose hergestell­t worden“, betont Knoll. „Sie wurde sowohl von der Politik als auch der Gesellscha­ft aufgenomme­n.“

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