Bühne der Mächtigen – oder „Zentrum des Bösen“?
Heuer verdrängen Ukraine und Gaza Wirtschaftsthemen, Russland ist unerwünscht. Das befeuert Verschwörungstheorien
Diskretion ist eigentlich das, was die Schweizer laut Eigendefinition am besten können. Die Schlagzeilen vor ein paar Tagen brachten die Eidgenossen deshalb ziemlich in Bedrängnis: Die Enthüllung, dass Wolodimir Selenskij dieses Jahr zum Weltwirtschaftsforum in Davos reisen soll, war eine der größeren Blamagen der letzten Zeit.
Ob der ukrainische Präsident tatsächlich in die Alpen reist, steht darum jetzt in den Sternen. Er ist eine der meistgefährdeten Personen der Welt, jede Information über seinen Aufenthaltsort kann potenziell tödlich sein. Kiew denkt deshalb darüber nach, die Reise wieder abzusagen.
Es wäre ein Dämpfer für Davos, denn diesmal dominieren das Treffen deutlich mehr politische als wirtschaftliche Themen. Waren die Namenslisten in den letzten Jahren nicht sehr schillernd, ist das heuer anders: China schickt mit Premier Li Qiang den ersten hochrangigen Vertreter seit sieben Jahren, Frankreichs Präsident Macron reist trotz Krise zu Hause an (siehe Seite 8). Und US-Außenminister Blinken wird mit Selenskij ebenso viel zu besprechen haben wie mit Israels Präsident Herzog und den Premiers von Katar, dem Irak, Jordanien und Libanon .
Russische Gäste hingegen fehlen, und das ist gewünscht. Die WEF-Führung hat schon 2022 alle Russen ausgeladen, und selbst wenn sie diesen Schritt nicht gesetzt hätte, wäre die Gästeliste sehr kurz geblieben: Die Hälfte jener Russen, die 2021 nach Davos kam, ist mittlerweile nämlich sanktioniert. Das Russlandhaus in Davos, in dem die Delegationen vor Putins Invasion die wildesten Partys gefeiert haben sollen, wurde in ein Museum umfunktioniert – gezeigt werden russische Kriegsverbrechen.
Dass Russen in Davos unerwünscht, Vertreter aus diktatorischen Regimen wie dem Iran aber freundlich begrüßt werden, ist der perfekte Nährboden für Verschwörungstheorien. Die gibt es um das Treffen der Ultrareichen schon lange: Dass sich die globalen Geldeliten dort seit 1971 verabreden, anfangs hinter verschlossenen Türen und in Anwesenheit einiger ausgewählter Medienvertreter, hat die Fantasie der Menschen immer beflügelt.
Absurde Theorien
Das hat hauptsächlich mit der teuer erkauften Exklusivität des Treffens zu tun. Nur Presse und Politik dürfen kostenlos in den Skiort. Die Teilnahmegebühr für ein Unternehmen plus ein Eintrittsticket beträgt rund 80.000 Euro. Eine Mitgliedschaft kann bis zu einer halben Million kosten. Bei den Hotels explodieren während des Forums die
Preise, die Nacht in einer durchschnittlichen Pension kostet dann schon mal 2.000 Euro. Wer sich das leisten kann, der redet bei den großen Themen der Welt auch mit, so der Gedanke vieler.
Das ist auch nicht ganz falsch. Zwar kann man mittlerweile die Panels per Livestream verfolgen, viele Gespräche und Deals kommen dennoch an den Bars und in privaten Zimmern zustande.
Nur: Das ist keine Spezialität von Davos, sondern wohl bei allen globalen wirtschaftlichen und politischen Zusammenkünften so. Und die Theorie, dass alle Teilnehmer eine gemeinsame, verschwörerische Agenda verfolgen würden, wie sie den Weltenlauf zu ihren Gunsten verändern könnten, lässt sich schon mit einem Blick auf die Teilnehmerliste nicht halten.
Nichtsdestotrotz halten sich auch teils völlig absurde Theorien, wie etwa, dass in
Davos das Autofahren verboten werden soll oder die Tötung aller Haustiere weltweit angeordnet wird. Im Zentrum dieser Ideen steht meist WEFGründer Klaus Schwab, mittlerweile 85 Jahre alt: Seit er im Jahr 2010 sagte, Regierungen seien „nicht mehr die überwältigend dominierenden Akteure auf der Weltbühne“, werden ihm regelmäßig Umsturzfantasien unterstellt. Selbiges passierte, als er 2020 sein Buch „The Great Reset“über die sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen der Coronapandemie präsentierte: Das Virus sei als Experiment absichtlich und mit Sanktus der Davos-Eliten in die Welt gelassen worden, hieß es da.
Schwab selbst sagte in einem seiner raren Interviews, er sei von Verschwörungstheoretikern bedroht, sein Haus fotografiert worden. Er habe mit ihnen das Gespräch gesucht, allein: „Das ist meist absolut sinnlos.“