Gehalts-Check: Kriegen die Jungen genug?
Mit dem ersten Gehalt ein Leben aufbauen, die erste Wohnung einrichten und auf eigenen Beinen stehen. Geht sich das aus? Wie viel die Jungen kriegen und ob ihre Erwartungen erfüllt werden
Von seinem ersten Gehalt erwartet Johannes P., sich die Miete für eine eigene Wohnung leisten zu können. Und für Gegenstände des täglichen Gebrauchs „nicht jeden Cent zweimal umdrehen“zu müssen. Eine überschaubare Erwartungshaltung. Der 21-Jährige studiert Technische Physik, kommt aus einer Arbeiterfamilie und vermutet, einmal mehr als seine Eltern zu verdienen. Dass er sich deshalb auch mehr leisten wird können, bezweifelt er jedoch und verweist auf die immer teurer werdenden Lebenserhaltungskosten. Ob er recht hat? Das analysiert der KURIER gemeinsam mit den Gehaltsexperten Martina Ernst und Conrad Pramböck.
Der erste Eindruck: Die Einstiegsgehälter scheinen gut zu sein. Rund 2.900 Euro brutto (2.100 netto) gibt es für VollzeitBerufseinsteiger im Schnitt monatlich, erhebt der Stepstone Gehaltsreport 2023. Das ist durchaus realistisch, bestätigt Pramböck, wobei Gehälter je nach Ausbildung und Branche natürlich stark variieren.
Und doch reicht das Geld zum Leben kaum. „Was man sich früher nach einem Berufseinstieg leisten konnte und heute – das ist Lichtjahre auseinander“, sagt Pramböck. Und auch Martina Ernst stimmt zu. „Das liegt aber nicht an den Gehältern“, sagt sie. „Die haben sich mit dem Verbraucherpreis entwickelt. Das habe ich über 20 Jahre nachgeprüft.“
Theoretisch müsse man sich heute genauso viel leisten können wie vor 20, 30 Jahren, erklärt sie. Wenn da nicht eine konkrete Sache wäre, die ein Eigenleben führt.
Das Wohnraum-Debakel
Generell sind Lebenserhaltungskosten noch immer mit dem Einkommen vereinbar, „nur der Wohnraum hat sich entkoppelt“, definiert Ernst und verweist auf eine Wifo-Berechnung. Schon in den anfänglichen 2000ern habe das Institut erkannt, dass Mietaufwendungen um 44,6 Prozent gestiegen seien. Netto-Einkommen im gleichen Zeitraum nur um 30,8 Prozent. „Diese Dynamik hat sich jetzt massiv verstärkt“, sagt Ernst.
Ein einfaches Rechenbeispiel verdeutlicht die Situation. Rund 880 Euro kalkuliert die Austrian Business Agency für eine Einzimmerwohnung im städtischen Raum. Sucht man auf Online-Portalen nach Mietwohnungen, können locker 1.000 Euro für nicht einmal 40 Quadratmeter fällig werden. Heizen und Strom kommen oben drauf, von anderen Luxusgütern wie Internet, Telefon und Streaming ist noch keine Rede. Fürs Wohnen also nur die empfohlenen 24 Prozent des Netto-Gehalts investieren? Keine Chance.
Die Ängste von jungen Menschen, sich den Wohlstand ihrer Eltern selbst nicht mehr erarbeiten zu können, sind deshalb berechtigt, sagt Ernst. Sofern man nicht das Privileg hätte, zu erben. Firmen erkennen das und manche reagieren. Im Gespräch mit einem mittelständischen Tiroler Unternehmen erfuhr Ernst, dass dieses jetzt Wohnungen errichtet. „Auch für Jungmitarbeiter, damit sie sich das Wohnen leisten können.“Andererseits stellt sich die Frage, ob eine eigene Mietwohnung gleich zum Berufseinstieg notwendig ist. Oder ob es nicht besser wäre, ein paar Jahre Geld zu verdienen, bevor man von daheim auszieht.
Eine Frage des Anspruchs
„Wenn nicht für eine eigene Wohnung, wofür dann“, fragt Conrad Pramböck und ist sich sicher. Schon der erste VollzeitJob sollte es ermöglichen, einen eigenen Lebensunterhalt aufzubauen. „Die Ansprüche sind gestiegen. Zu recht“, sagt er. „Junge sehen, was sie schon haben. Das neueste Smartphone, die schönen Reisen.“Es fehle ihnen aber an der Zukunftsvision, wie sich das auch aus eigener Kraft erarbeiten ließe. Nicht umsonst gäbe es das Phänomen der ewigen Nesthocker oder der immer notwendiger werdenden Wohngemeinschaften. Dass auch Eltern womöglich in günstigen Wohnungen mit der Toilette am
Gang gestartet haben, gerät dabei in Vergessenheit. „Es muss alles jetzt sofort passieren“, erkennt Pramböck. In gefragten Berufsgruppen wäre es mittlerweile realistisch, sein Monatsgehalt um 1.000 Euro pro Jahr zu steigern. Das belegt auch der Stepstone Gehaltsreport. Rund 10.000 Euro brutto mehr verdienen die Österreicher nach sechs bis zehn Jahren Berufserfahrung. „Das sind im Vergleich zu früheren Generationen deutliche Steigerungen“, ordnet Pramböck ein. Manche Einsteiger würden es sogar schaffen, ihr Gehalt in den ersten fünf bis zehn Jahren zu verdoppeln. „Das hat früher eine ganze Karriere lang gedauert.“
„Als junger Mensch will man sich ein gutes Leben aufbauen. Die Angst, das nicht mehr zu können, ist berechtigt“Martina Ernst Gehaltsexpertin
Vorstellung und Realität
Den Vorteil für schnelle Karriereund Gehaltssprünge schafft die derzeitige Arbeitsmarktsituation, erkennt Robert Koenes der Iventa-Personalberatung. „Einstiegsgehälter passen sich dem Markt an. Fehlen Mitarbeiter, müssen sich Arbeitgeber bewegen.“Der Arbeitskräftemangel würde viele zum Pokern verleiten, was teilweise zu unverschämten Gehaltswünschen bei Einsteigern führt, berichtet der Personalexperte. Koenes erinnert sich an Javascript-Programmierer, die ein Einstiegsgehalt von bis zu 6.000 Euro forderten.
Zum Vergleich: Der AMSGehaltskompass schildert hier eine Gehaltsspanne zwischen 2.710 und 3.560 Euro aus. Zu hohe Forderungen hätten in den vergangenen Jahren zugenommen, so Koenes, bringen Arbeitgeber jedoch in die Bredouille. Vor allem wenn langjährige Mitarbeiter durch moderate Gehaltssprünge weniger verdienen würden als Neulinge. „Ich beobachte, dass man dann nicht zueinanderfindet“, sagt Koenes. Denn finanzielle Abstriche machen die besonders Selbstbewussten oft erst dann, wenn sie „das erste Mal auf die Nase gefallen sind.“
Doch nicht immer klaffen Vorstellung und Realität so weit auseinander, wie Studien des WU Career Centers zeigen. Darin wurde untersucht, ob Gehaltswünsche von Studierenden mit späteren Ist-Gehältern übereinstimmen. Das Ergebnis: 2022 erhofften sich WU-Studierende nach ihrem Abschluss 41.000 Euro pro Jahr zu verdienen. Ihre Ist-Gehälter lagen in einer passenden Spanne zwischen 35.000 und 48.000 Euro (Bachelor bzw. Master). Außerdem zeigt sich, dass die Inflation die Gehaltsvorstellungen in die Höhe trieb. 5.000 Euro mehr erhoffen sich die Absolventen von 2023 von ihren künftigen Arbeitgebern. Und diese werden reagieren müssen.
Der richtige Ansporn
„Junge Menschen sind besser über ihren Marktwert und Optionen informiert“, sagt Koenes, der das als positive Entwicklung sieht. Einstiegsgehälter deshalb in die Höhe treiben, müsse man trotzdem nicht, sagt Martina Ernst. „Die Entwicklungsmöglichkeit ist viel wichtiger, als nur mit hohem Einstiegsgehalt zu locken“, sagt die Gehaltsexpertin. Sie selbst habe als junge Verdienerin „in einer Bruchbude“gestartet und ihre Kleidung in Chiquita-Kisten gebunkert. „Aber ich war stolz, dass es mein eigenes Geld war. Und es war ein Ansporn.“
„Meine Priorität wird sein, einen Job zu finden, der mir Spaß macht, anstatt viel Geld zu verdienen“Bruno R. ist SpeditionskaufmannLehrling