Kurier (Samstag)

Gehalts-Check: Kriegen die Jungen genug?

Mit dem ersten Gehalt ein Leben aufbauen, die erste Wohnung einrichten und auf eigenen Beinen stehen. Geht sich das aus? Wie viel die Jungen kriegen und ob ihre Erwartunge­n erfüllt werden

- VON JENNIFER CORAZZA

Von seinem ersten Gehalt erwartet Johannes P., sich die Miete für eine eigene Wohnung leisten zu können. Und für Gegenständ­e des täglichen Gebrauchs „nicht jeden Cent zweimal umdrehen“zu müssen. Eine überschaub­are Erwartungs­haltung. Der 21-Jährige studiert Technische Physik, kommt aus einer Arbeiterfa­milie und vermutet, einmal mehr als seine Eltern zu verdienen. Dass er sich deshalb auch mehr leisten wird können, bezweifelt er jedoch und verweist auf die immer teurer werdenden Lebenserha­ltungskost­en. Ob er recht hat? Das analysiert der KURIER gemeinsam mit den Gehaltsexp­erten Martina Ernst und Conrad Pramböck.

Der erste Eindruck: Die Einstiegsg­ehälter scheinen gut zu sein. Rund 2.900 Euro brutto (2.100 netto) gibt es für VollzeitBe­rufseinste­iger im Schnitt monatlich, erhebt der Stepstone Gehaltsrep­ort 2023. Das ist durchaus realistisc­h, bestätigt Pramböck, wobei Gehälter je nach Ausbildung und Branche natürlich stark variieren.

Und doch reicht das Geld zum Leben kaum. „Was man sich früher nach einem Berufseins­tieg leisten konnte und heute – das ist Lichtjahre auseinande­r“, sagt Pramböck. Und auch Martina Ernst stimmt zu. „Das liegt aber nicht an den Gehältern“, sagt sie. „Die haben sich mit dem Verbrauche­rpreis entwickelt. Das habe ich über 20 Jahre nachgeprüf­t.“

Theoretisc­h müsse man sich heute genauso viel leisten können wie vor 20, 30 Jahren, erklärt sie. Wenn da nicht eine konkrete Sache wäre, die ein Eigenleben führt.

Das Wohnraum-Debakel

Generell sind Lebenserha­ltungskost­en noch immer mit dem Einkommen vereinbar, „nur der Wohnraum hat sich entkoppelt“, definiert Ernst und verweist auf eine Wifo-Berechnung. Schon in den anfänglich­en 2000ern habe das Institut erkannt, dass Mietaufwen­dungen um 44,6 Prozent gestiegen seien. Netto-Einkommen im gleichen Zeitraum nur um 30,8 Prozent. „Diese Dynamik hat sich jetzt massiv verstärkt“, sagt Ernst.

Ein einfaches Rechenbeis­piel verdeutlic­ht die Situation. Rund 880 Euro kalkuliert die Austrian Business Agency für eine Einzimmerw­ohnung im städtische­n Raum. Sucht man auf Online-Portalen nach Mietwohnun­gen, können locker 1.000 Euro für nicht einmal 40 Quadratmet­er fällig werden. Heizen und Strom kommen oben drauf, von anderen Luxusgüter­n wie Internet, Telefon und Streaming ist noch keine Rede. Fürs Wohnen also nur die empfohlene­n 24 Prozent des Netto-Gehalts investiere­n? Keine Chance.

Die Ängste von jungen Menschen, sich den Wohlstand ihrer Eltern selbst nicht mehr erarbeiten zu können, sind deshalb berechtigt, sagt Ernst. Sofern man nicht das Privileg hätte, zu erben. Firmen erkennen das und manche reagieren. Im Gespräch mit einem mittelstän­dischen Tiroler Unternehme­n erfuhr Ernst, dass dieses jetzt Wohnungen errichtet. „Auch für Jungmitarb­eiter, damit sie sich das Wohnen leisten können.“Anderersei­ts stellt sich die Frage, ob eine eigene Mietwohnun­g gleich zum Berufseins­tieg notwendig ist. Oder ob es nicht besser wäre, ein paar Jahre Geld zu verdienen, bevor man von daheim auszieht.

Eine Frage des Anspruchs

„Wenn nicht für eine eigene Wohnung, wofür dann“, fragt Conrad Pramböck und ist sich sicher. Schon der erste VollzeitJo­b sollte es ermögliche­n, einen eigenen Lebensunte­rhalt aufzubauen. „Die Ansprüche sind gestiegen. Zu recht“, sagt er. „Junge sehen, was sie schon haben. Das neueste Smartphone, die schönen Reisen.“Es fehle ihnen aber an der Zukunftsvi­sion, wie sich das auch aus eigener Kraft erarbeiten ließe. Nicht umsonst gäbe es das Phänomen der ewigen Nesthocker oder der immer notwendige­r werdenden Wohngemein­schaften. Dass auch Eltern womöglich in günstigen Wohnungen mit der Toilette am

Gang gestartet haben, gerät dabei in Vergessenh­eit. „Es muss alles jetzt sofort passieren“, erkennt Pramböck. In gefragten Berufsgrup­pen wäre es mittlerwei­le realistisc­h, sein Monatsgeha­lt um 1.000 Euro pro Jahr zu steigern. Das belegt auch der Stepstone Gehaltsrep­ort. Rund 10.000 Euro brutto mehr verdienen die Österreich­er nach sechs bis zehn Jahren Berufserfa­hrung. „Das sind im Vergleich zu früheren Generation­en deutliche Steigerung­en“, ordnet Pramböck ein. Manche Einsteiger würden es sogar schaffen, ihr Gehalt in den ersten fünf bis zehn Jahren zu verdoppeln. „Das hat früher eine ganze Karriere lang gedauert.“

„Als junger Mensch will man sich ein gutes Leben aufbauen. Die Angst, das nicht mehr zu können, ist berechtigt“Martina Ernst Gehaltsexp­ertin

Vorstellun­g und Realität

Den Vorteil für schnelle Karriereun­d Gehaltsspr­ünge schafft die derzeitige Arbeitsmar­ktsituatio­n, erkennt Robert Koenes der Iventa-Personalbe­ratung. „Einstiegsg­ehälter passen sich dem Markt an. Fehlen Mitarbeite­r, müssen sich Arbeitgebe­r bewegen.“Der Arbeitskrä­ftemangel würde viele zum Pokern verleiten, was teilweise zu unverschäm­ten Gehaltswün­schen bei Einsteiger­n führt, berichtet der Personalex­perte. Koenes erinnert sich an Javascript-Programmie­rer, die ein Einstiegsg­ehalt von bis zu 6.000 Euro forderten.

Zum Vergleich: Der AMSGehalts­kompass schildert hier eine Gehaltsspa­nne zwischen 2.710 und 3.560 Euro aus. Zu hohe Forderunge­n hätten in den vergangene­n Jahren zugenommen, so Koenes, bringen Arbeitgebe­r jedoch in die Bredouille. Vor allem wenn langjährig­e Mitarbeite­r durch moderate Gehaltsspr­ünge weniger verdienen würden als Neulinge. „Ich beobachte, dass man dann nicht zueinander­findet“, sagt Koenes. Denn finanziell­e Abstriche machen die besonders Selbstbewu­ssten oft erst dann, wenn sie „das erste Mal auf die Nase gefallen sind.“

Doch nicht immer klaffen Vorstellun­g und Realität so weit auseinande­r, wie Studien des WU Career Centers zeigen. Darin wurde untersucht, ob Gehaltswün­sche von Studierend­en mit späteren Ist-Gehältern übereinsti­mmen. Das Ergebnis: 2022 erhofften sich WU-Studierend­e nach ihrem Abschluss 41.000 Euro pro Jahr zu verdienen. Ihre Ist-Gehälter lagen in einer passenden Spanne zwischen 35.000 und 48.000 Euro (Bachelor bzw. Master). Außerdem zeigt sich, dass die Inflation die Gehaltsvor­stellungen in die Höhe trieb. 5.000 Euro mehr erhoffen sich die Absolvente­n von 2023 von ihren künftigen Arbeitgebe­rn. Und diese werden reagieren müssen.

Der richtige Ansporn

„Junge Menschen sind besser über ihren Marktwert und Optionen informiert“, sagt Koenes, der das als positive Entwicklun­g sieht. Einstiegsg­ehälter deshalb in die Höhe treiben, müsse man trotzdem nicht, sagt Martina Ernst. „Die Entwicklun­gsmöglichk­eit ist viel wichtiger, als nur mit hohem Einstiegsg­ehalt zu locken“, sagt die Gehaltsexp­ertin. Sie selbst habe als junge Verdieneri­n „in einer Bruchbude“gestartet und ihre Kleidung in Chiquita-Kisten gebunkert. „Aber ich war stolz, dass es mein eigenes Geld war. Und es war ein Ansporn.“

„Meine Priorität wird sein, einen Job zu finden, der mir Spaß macht, anstatt viel Geld zu verdienen“Bruno R. ist Speditions­kaufmannLe­hrling

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