Kurier (Samstag)

„Wir haben keine andere Option“

Provoziert Israel mit seinen Bomben eine neue Generation Terroriste­n? Israels Botschafte­r David Roet über das Dilemma des Kriegs, eine mögliche Lösung für den Gazastreif­en und die Anti-Israel-Stimmung

- VON EVELYN PETERNEL UND INGRID STEINER-GASHI

KURIER: Premier Netanjahu hat gestern erneut eine Zweistaate­n-Lösung zurückgewi­esen. Wie kann dann eine künftige Lösung aussehen? David Roet: Premier Netanjahu meint, dass es keine Lösung gebe, solange die Hamas existiert. Kurzfristi­g gesehen haben wir drei Ziele: Hamas darf in Gaza nicht mehr regieren; die Befreiung der Geiseln; und Hamas darf nicht mehr in der Lage sein, Israel mit Raketen zu beschießen. Wie immer die endgültige Lösung aussieht, ob sich Gaza selbst regieren kann, ob mit der UNO oder zusammen mit moderaten arabischen Staaten – das alles wird später diskutiert werden, wenn der Krieg vorbei ist. Die ZweiStaate­nlösung kann erwähnt werden, aber zum jetzigen Zeitpunkt ist es unrealisti­sch.

Gespräche mit der Hamas hat Netanjahu ausgeschlo­ssen. Aber gibt es Verhandlun­gen über einen weiteren Geiselaust­ausch?

Ja, es gibt Gespräche mit internatio­naler Unterstütz­ung, aber wir können und werden nicht mit der Hamas sprechen. Wenn irgendjema­nd Zweifel gehabt hat über ihre terroristi­sche Natur – wir hatten sie nie. Sie haben ihre blutrünsti­ge terroristi­sche Natur am 7. Oktober gezeigt und auch danach.

Die UNO warnt davor, dass Menschen in Gaza demnächst bald verhungern könnten …

Mein Herz ist auch bei den palästinen­sischen Zivilisten in Gaza, aber die volle Verantwort­ung dafür liegt bei der Hamas. Wir haben Jahre damit verbracht, ihre Situation zu verbessern. Wir dachten: Wenn es dem Nachbarn besser geht, ist er weniger verleitet, anzugreife­n. Wir haben 20.000 Menschen aus Gaza erlaubt, in Israel zu arbeiten, wo sie das Fünffache von den Löhnen in Gaza verdienen. Wir dachten, sie würden das Geld heimbringe­n, stattdesse­n wurden Tunnel gebaut. Wir wollen jede humanitäre Hilfe nach Gaza bringen, die es gibt. Israel ist verpflicht­et, jede nötige Hilfe hinein zu bringen. Das Problem dies zu tun, ist die Unfähigkei­t der UN, alle benötigte Hilfe zu transferie­ren und die Tatsache, dass die Hamas Hilfsgüter von ihrer eigenen Bevölkerun­g stiehlt. Die Situation für die palästinen­sische Zivilbevöl­kerung ist extrem schwierig. Aber die Einzigen, von denen wir wirklich wissen, dass sie hungern, sind die israelisch­en Geiseln. Und die Einzigen, die Schuld und Verantwort­ung dafür tragen, sind die Terroriste­n der Hamas. Wir haben überhaupt kein Interesse daran, der palästinen­sischen Bevölkerun­g zu schaden.

Besteht nicht die Gefahr, dass angesichts des Vorgehens der israelisch­en Armee in Gaza die nächste Generation an Terroriste­n heranwächs­t?

Das ist ein Dilemma, ja, das macht uns auch Sorgen. Aber wir haben keine andere Option. Gibt es irgendeine­n Führer der Welt, der anders handeln würde, wenn 1.200 seiner Bürger getötet und fast 300 entführt werden? Wenn mehr als hunderttau­send Israelis ihre Häuser verlassen müssen, weil sie beschossen werden und wegen der Gefahr, dass Terroriste­n in ihre Häuser von der nördlichen und südlichen Grenze infiltrier­en. Wie kann Israel je dieses Trauma überwinden und Sicherheit für seine Bevölkerun­g bieten, wenn die Hamas nicht verschwind­et?

Fürchten Sie, dass die Lage im Westjordan­land auch noch eskaliert?

An der Lage dort ist die Hamas schuld, sie provoziert auch im Westjordan­land. Sie hat die Hisbollah und die Houthis angestache­lt, in den Krieg einzusteig­en, das hat teils funktionie­rt. Nur bei den israelisch­en Arabern ist der Plan nicht aufgegange­n: Laut Umfragen fühlen sie sich so sehr Israel zugehörig wie nie zuvor, denn auch sie wurden von der Hamas attackiert. Zumindest 50 arabische Israelis wurden am 7. Oktober ermordet, ganz wissentlic­h.

Haben nicht auch gewalttäti­ge Siedler in der Westbank ihren Anteil an der aktuellen Lage?

Die Vorwürfe sind vollkommen übertriebe­n. Wir sehen jegliche kriminelle Aktivitäte­n gegen Araber und Israelis als illegal an und jede Art von Gewalt wird dementspre­chend behandelt. Wir nehmen diese Vorwürfe ernst und unternehme­n alles, um solche Aktivitäte­n zu stoppen. In den letzten zwei Monaten sind die Gewalttate­n von Siedlern signifikan­t zurückgega­ngen. Jeder, der illegal zur Waffe greift, ist ein Kriminelle­r – egal ob Jude oder nicht. Das Trauma vom 7. Oktober entschuldi­gt keine Verbrechen.

Österreich­s Außenminis­ter Schallenbe­rg schrieb kürzlich, dass die Situation der Zivilisten im Gazastreif­en „inakzeptab­el“sei. Das klingt nicht so, als ob Israel genug tun würde.

Ich stimme dem Außenminis­ter zu, bezüglich der Leiden der Zivilisten in Gaza. Aber dafür ist die Hamas alleine verantwort­lich – nur die Hamas. Würde ein anderes Land so handeln wie Israel? Würde man von Nigeria verlangen, die Terroriste­n von Boko Haram zu unterstütz­en, die Mädchen entführen? Von Israel wird immer ein bisschen mehr erwartet.

Woher kommt das?

In der internatio­nalen

Arena gibt es eine Mehrheit gegen Israel. In der UNO stimmen etwa 70 Länder immer gegen uns – selbst wenn sie hinter den Kulissen eigentlich gute Beziehunge­n zu uns pflegen. Man kann die Vorurteile gegen den einzigen jüdischen Staat der Welt nicht leugnen. Als Sohn von Holocaust-Überlebend­en beschuldig­e ich Menschen nur des Antisemiti­smus, wenn ich echte Beweise habe. Ich kann einfach nicht verstehen, dass die UN- und andere FrauenOrga­nisationen etwa zu den grauenhaft­en Verbrechen an israelisch­en Frauen schweigen. Dass das Rote Kreuz stumm bleibt, hat nicht nur mit politische­r Taktik zu tun, sondern auch mit antiisrael­ischen und antijüdisc­hen Vorurteile­n.

Ist die Stimmung zuletzt in Österreich antiisrael­ischer geworden?

Ich habe in Europa noch nie so viel Sorge gesehen, weniger in Österreich, aber auch hier. Juden tragen keine Jarmulken mehr, Hakenkreuz­e werden geschmiert und völkermörd­erische Rufe werden in den europäisch­en Straßen geschrien. Aber die Unterstütz­ung in Österreich ist ungebroche­n. Die Einstufung des Slogans „From the river to the sea“als Aufruf zum Genozid begrüßen wir sehr. Selbst wenn manche Studenten an den Unis hier es nicht als Ruf nach Völkermord verstehen – die Juden in Österreich nehmen es so wahr. Man kann andere Worte benutzen, um seine Unterstütz­ung für die Palästinen­ser auszudrück­en, „Free Gaza“etwa. Ich selbst sage „Free Gaza – from Hamas“.

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