Kurier (Samstag)

Es bleibt in der Familie

Zu Lebzeiten hielt sich Lorenza Denaro von ihrem Vater fern – er war über Jahrzehnte einer der meistgesuc­hten Mafiosi Italiens. Nach seinem Tod lässt sie ihn weiterlebe­n, indem sie seinen Namen annahm

- AUS MA|LAND ANDREA AFFATICATI

Matteo Messina Denaro galt als einer der erbarmungs­losesten und grausamste­n Mafiabosse Italiens: Er war unter jenen Mafiosi, die in den 1990er-Jahren dem Staat den Krieg angesagt hatten und zig Attentate verübten. 1993 ließ er den erst 12-jährigen Giuseppe Di Matteo entführen; 779 Tage war der Junge in Gefangensc­haft, bevor Denaros Schergen ihn kurz vor seinem 15. Geburtstag töteten und seinen Leichnam in Säure auflösten. Die „Schuld“des Buben? Sein Vater kooperiert­e mit der Justiz.

Vor einem Jahr wurde Messina Denaro in einer Privatklin­ik in Palermo festgenomm­en, nach 30 Jahren Flucht. Er war an Darmkrebs erkrankt, unterzog sich dort unter falschem Namen einer Chemothera­pie. Im September starb er an seiner Erkrankung, im Alter von 61 Jahren.

Seltener Fund

Dass Ermittler in Mafia-Verstecken schriftlic­he Aufzeichnu­ngen finden, ist nicht neu. Dabei handelt es sich meist um „Pizzini“, Zettel, auf denen die Untergetau­chten Handlanger­n Anweisunge­n geben. Der Fund von Tagebücher­n wie im Fall von Messina Denaro ist seltener: Laut Corriere della Sera wurden drei davon gefunden, die alle für Denaros Tochter Lorenza Alagna gedacht waren.

Eine Tochter, die zwar wusste, wer ihr Vater war, ihm aber erst nach der Verhaftung zum ersten Mal begegnete. Denaro schickte ihr Fotos, damit sie über sein Aussehnen Bescheid wisse, schrieb er in einem Tagebuchei­ntrag von Mai 2006. In den Phantombil­dern sehe er aus „wie 86 Jahre und 5 Monate, wo ich gerade 44 geworden bin“, heißt es dort. Lorenza wurde wie ihr Vater in Castelvetr­ano, Sizilien, geboren. Ihre Mutter Francesca Alagna, deren Familienna­men sie trug, hatte eine Beziehung mit dem Mafiosi, als schon nach ihm gefahndet wurde. Sie versteckte sich vor der Öffentlich­keit, wurde von Ermittlern beschattet, in der Hoffnung, der Vater würde sich ihr nähern. Der tat das nur im Geheimen, wie seine Tagebücher nun enthüllen. „Heute war ich ganz in ihrer Nähe. Keine 30 Meter trennten uns. So nahe war ich ihr noch nie“, schrieb er 2015.

Erst kurz vor seinem Tod trat Lorenza Alagna in die Öffentlich­keit, besuchte ihren Vater im Hochsicher­heitsgefän­gnis in den Abruzzen, zog später mit ihrem zweijährig­en Kind sogar dorthin. Im Sommer, kurz vor seinem Tod, gab Denaro schließlic­h seine Einwilligu­ng: Lorenza durfte seinen Nachnamen annehmen – und wurde so zur Alleinerbi­n. Ihr Vater hat nie geheiratet, Lorenza ist sein einziges Kind; und Denaro soll über die Jahre ein riesiges Vermögen angehäuft haben.

Ob Lorenza davor tatsächlic­h nie Kontakt zu ihrem Vater hatte, wird seither bezweifelt. Denaro selbst schrieb jedenfalls am Ende: „Ich wollte nicht sterben ohne dich gesehen zu haben. Jetzt habe ich dich gesehen und kann in Ruhe sterben.“

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