Causa Mayer: Zerbrechliche Gladiatoren
Natürlich könnte man Matthias Mayer an dieser Stelle jetzt verdammen und ihn an den öffentlichen Pranger stellen. Nichts einfacher als das. Ein Sportstar, der sich nicht zu benehmen weiß, gehört nun einmal gemaßregelt und den hysterischen Hyänen-Rudeln in den sozialen Medien zum Fraß vorgeworfen. So wie es oft passiert in jüngster Zeit.
Es geht hier jetzt keineswegs darum, das Verhalten von Matthias Mayer in irgendeiner Weise zu beschönigen. Der dreifache Olympiasieger hat am Donnerstag beim Niederösterreich-Empfang in Kitzbühel unbestritten über die Stränge geschlagen und mit seinem ungebührlichen Verhalten samt
Polizeieinsatz wahrscheinlich auch viele Menschen schockiert, die ihn bisher nur von seiner Schokoladenseite gekannt haben.
So wie die mediale und öffentliche Glorifizierung von Sportlern mitunter übertrieben ist, so überspannen auch die Postings, die seit Donnerstag in den sozialen Medien zu lesen sind, den Bogen. Wahrscheinlich nehmen das Entsetzen und die Aufregung auch deshalb solche Ausmaße an, weil gerade hierzulande mit „Ski-Ikonen“gerne höhere Ansprüche verknüpft werden.
Nach dem Motto: Wer auf zwei schmalen Brett’ln mit 140 km/h in Kitzbühel die Streif hinunterrast, der wird doch wohl im echten Leben nicht so schnell aus der Spur geraten.
Darf denn, bitteschön, ein dreifacher Olympiasieger keinen Fehler begehen? Ist es einem Sporthelden etwa nicht gestattet, Schwächen zu zeigen? Glaubt wirklich ernsthaft jemand, dass ein Idol wie Mayer in allen Lebenslagen funktionieren und immer alle Erwartungen erfüllen muss?
Helden und Exzess
Einzelsportler werden gerne einmal als Egoisten abgestempelt, die weder links noch rechts schauen. Aber gerade Matthias Mayer war nie ein Selbstdarsteller, sondern jemand, der immer darauf geachtet hat, dass es den anderen gut geht.
So haben er und seine Familie seinerzeit bei sich daheim Flüchtlinge aufgenommen, ohne es an die große mediale
Glocke zu hängen. Es war auch Mayer, der seine ÖSV-Mannschaftskollegen davon überzeugen konnte, zehn Prozent der Preisgelder an Bedürftige zu spenden. Nach seinem dritten Olympiagold vor zwei Jahren in Peking schenkte er jedem aus dem Betreuerstab eine Luxusuhr. Noch wenige Stunden vor seinem Eklat schwärmten die jungen ÖSV-Abfahrer, wie rührend sich Mayer in seiner neuen Rolle als Trainer und Mentor um sie kümmern würde. Mayer hat stets auf die anderen geschaut, dabei ist er selbst womöglich zu kurz gekommen.
Wahrscheinlich hat es genau so kommen müssen: An diesem einzigartigen Schauplatz mit seinem unvergleichlichen Ambiente. Nirgendwo wird die Heldenverehrung so exzessiv betrieben wie in Kitzbühel. Dass der Kärntner gerade an diesem Ort für einen Exzess gesorgt hat, ist ein Hilfeschrei, der hoffentlich Gehör findet und ihm das zuteil werden lässt, was er braucht: Hilfe.
Seit dem spontanen Rücktritt im Dezember 2022 hielten sich die Gerüchte über die psychischen Probleme des österreichischen Skistars. Jetzt ist die Wahrheit mit einem lauten Knall heraußen – endlich, ist man fast geneigt zu sagen.
Matthias Mayer hatte als Skifahrer die Gabe, auf der Piste die größten Schwierigkeiten mit faszinierender Leichtigkeit zu meistern. Das Leben stellt ihn nun vor größere Herausforderungen als die Mausefalle.