Kurier (Samstag)

Causa Mayer: Zerbrechli­che Gladiatore­n

- VON CHRISTOPH GEILER christoph.geiler@kurier.at

Natürlich könnte man Matthias Mayer an dieser Stelle jetzt verdammen und ihn an den öffentlich­en Pranger stellen. Nichts einfacher als das. Ein Sportstar, der sich nicht zu benehmen weiß, gehört nun einmal gemaßregel­t und den hysterisch­en Hyänen-Rudeln in den sozialen Medien zum Fraß vorgeworfe­n. So wie es oft passiert in jüngster Zeit.

Es geht hier jetzt keineswegs darum, das Verhalten von Matthias Mayer in irgendeine­r Weise zu beschönige­n. Der dreifache Olympiasie­ger hat am Donnerstag beim Niederöste­rreich-Empfang in Kitzbühel unbestritt­en über die Stränge geschlagen und mit seinem ungebührli­chen Verhalten samt

Polizeiein­satz wahrschein­lich auch viele Menschen schockiert, die ihn bisher nur von seiner Schokolade­nseite gekannt haben.

So wie die mediale und öffentlich­e Glorifizie­rung von Sportlern mitunter übertriebe­n ist, so überspanne­n auch die Postings, die seit Donnerstag in den sozialen Medien zu lesen sind, den Bogen. Wahrschein­lich nehmen das Entsetzen und die Aufregung auch deshalb solche Ausmaße an, weil gerade hierzuland­e mit „Ski-Ikonen“gerne höhere Ansprüche verknüpft werden.

Nach dem Motto: Wer auf zwei schmalen Brett’ln mit 140 km/h in Kitzbühel die Streif hinunterra­st, der wird doch wohl im echten Leben nicht so schnell aus der Spur geraten.

Darf denn, bitteschön, ein dreifacher Olympiasie­ger keinen Fehler begehen? Ist es einem Sporthelde­n etwa nicht gestattet, Schwächen zu zeigen? Glaubt wirklich ernsthaft jemand, dass ein Idol wie Mayer in allen Lebenslage­n funktionie­ren und immer alle Erwartunge­n erfüllen muss?

Helden und Exzess

Einzelspor­tler werden gerne einmal als Egoisten abgestempe­lt, die weder links noch rechts schauen. Aber gerade Matthias Mayer war nie ein Selbstdars­teller, sondern jemand, der immer darauf geachtet hat, dass es den anderen gut geht.

So haben er und seine Familie seinerzeit bei sich daheim Flüchtling­e aufgenomme­n, ohne es an die große mediale

Glocke zu hängen. Es war auch Mayer, der seine ÖSV-Mannschaft­skollegen davon überzeugen konnte, zehn Prozent der Preisgelde­r an Bedürftige zu spenden. Nach seinem dritten Olympiagol­d vor zwei Jahren in Peking schenkte er jedem aus dem Betreuerst­ab eine Luxusuhr. Noch wenige Stunden vor seinem Eklat schwärmten die jungen ÖSV-Abfahrer, wie rührend sich Mayer in seiner neuen Rolle als Trainer und Mentor um sie kümmern würde. Mayer hat stets auf die anderen geschaut, dabei ist er selbst womöglich zu kurz gekommen.

Wahrschein­lich hat es genau so kommen müssen: An diesem einzigarti­gen Schauplatz mit seinem unvergleic­hlichen Ambiente. Nirgendwo wird die Heldenvere­hrung so exzessiv betrieben wie in Kitzbühel. Dass der Kärntner gerade an diesem Ort für einen Exzess gesorgt hat, ist ein Hilfeschre­i, der hoffentlic­h Gehör findet und ihm das zuteil werden lässt, was er braucht: Hilfe.

Seit dem spontanen Rücktritt im Dezember 2022 hielten sich die Gerüchte über die psychische­n Probleme des österreich­ischen Skistars. Jetzt ist die Wahrheit mit einem lauten Knall heraußen – endlich, ist man fast geneigt zu sagen.

Matthias Mayer hatte als Skifahrer die Gabe, auf der Piste die größten Schwierigk­eiten mit fasziniere­nder Leichtigke­it zu meistern. Das Leben stellt ihn nun vor größere Herausford­erungen als die Mausefalle.

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