„Zu viele Chefs sind Fähnchen im Wind“
Führungskräfte von heute sollen empathisch sein. Warum das nicht bedeutet, Mitarbeiter nur noch mit Samthandschuhen anzufassen – und wie man es schafft, respektiert oder gar geliebt zu werden
Seit 25 Jahren berät Alexander Groth Konzerne und Familienunternehmen in Sachen Führung. Er selbst lehrt an mehreren deutschen Universitäten und hat sich als Redner und Autor ein zweites Standbein aufgebaut. Sein Bestseller „Der Chef, den ich nie vergessen werde“hat sich über 40.000 Mal verkauft und ging kürzlich neu überarbeitet in die dritte Auflage.
KURIER: Als Führungsexperte beobachten Sie seit 25 Jahren das Geschehen. Was meinen Sie – wie viel Führung verträgt unsere moderne Arbeitskultur noch?
Alexander Groth: Ich weiß nicht, wie viele Chefs oder Chefinnen Sie bereits hatten. War aber jemand richtig Gutes darunter, wissen Sie, dass uns so jemand dazu bringen kann, unsere Fähigkeiten auszuleben. Dinge anzugehen, die wir uns selbst nie zugetraut hätten. Insofern braucht es unbedingt Führung.
Die Frage ist nur, welchen Führungsstil man heute an den Tag legen sollte.
Man könnte denken, dass nur die, die kooperativ führen, die empathisch sind und alle einbinden, gut ankommen. Aber das ist nicht so. Tatsächlich hat eine Studie gezeigt, dass Führungskräfte, ganz gleich welchen Führungsstils, von Mitarbeitern geliebt werden können.
Was eint diese Menschen?
Sie sind authentisch bis hin zu original. Ein Original ist jemand, der ganz klare Werte hat. Davon gibt es heute nicht mehr so viele. Stattdessen haben wir zu viele Fähnchen im Wind, die sich aus karrieretechnischen Gründen allem anpassen. Die mit den klaren Werten aber stechen aus der Masse heraus.
Ecken aber womöglich an.
Wir wünschen uns Menschen, die anders sind als der
Rest. An denen man sich orientieren oder auch reiben kann. Man muss auch nicht alles gut finden, was sie machen. Schwierig wird es heute nur, weil Mitarbeiter von einem erwarten, in allen Dingen korrekt zu sein. Das fängt beim Gendern an. Macht man nicht mit, hat man sofort ein Kritikgespräch.
Also sollte man ein Original sein, aber nicht zu sehr. Wie
hält man die Balance?
Ich glaube, dass sich diese originalen Menschen etwas von ihrem Charakter behalten. Sie versuchen, keine Fassade vor sich herzutragen, was viele Manager machen. Die so tun, als hätten sie für alles eine Lösung.
Authentizität genügt also, um geliebt zu werden?
Niemand wird als Führungskraft gemocht oder verehrt, wenn er sich nicht ernsthaft für die Leute interessiert. Das kann durchaus heißen, sie hart herauszufordern. Denken Sie an die Schulzeit: Die besten Lehrer waren oft die strengsten. Aber sie hatten eine gute Balance zwischen Leistungsorientierung und Menschlichkeit. Die wirklich guten Chefs haben beide Fähigkeiten in einem sehr hohen Maß. Und das führt dazu, dass Menschen einem folgen, egal welchen Führungsstil man hat.
Aber irgendwer wird sich immer an einem stoßen oder nicht?
Das ist so. Man löst bei Leuten alles Mögliche aus, ohne das auch nur ansatzweise vermuten zu können. Eine gute Führungskraft muss nun mal Menschen fordern. Bringt jemand keine gute Leistung, muss Kritik geübt werden – nur wird die betroffene Person darüber nicht glücklich sein. Dass alle einen lieben, ist also nicht der Maßstab. Aber der Respekt von allen ist möglich.
Wie gewinne ich den?
Eine Möglichkeit ist, Unangenehmes selbst zu machen. Denken Sie an einen unbequemen Anruf, der erledigt werden muss. Das Team diskutiert müßig, wer die Aufgabe übernimmt. Erklärt sich die Führungskraft dazu bereit, kapiert jeder, dass sie eine Vorbildfunktion einnimmt. Aber es geht nicht darum, dass der Chef alle Deppenaufgaben macht.
Nochmal zurück zur Kritik.
Ein reges Feedback gilt heute als essenziell für eine gesunde Unternehmenskultur. Warum ist das so?
Man muss verstehen, warum gerade jungen Menschen die Feedback-Kultur so wichtig ist. Sie wurden mit dem Smartphone sozialisiert. Posten sie etwas oder schreiben in einen Gruppenchat, bekommen sie in kürzester Zeit jede Menge positive Rückmeldung. Mit Führungskräften diskutiere ich deshalb regelmäßig, wie oft man loben sollte. Und die Grundregel lautet: öfter, als Sie es bisher tun.
Welchen Tipp würden Sie allen Führungskräften geben?
Ganz viele dokumentieren schlichtweg nicht, was über das Jahr passiert und welche Leistungen ihre Mitarbeitenden erbringen. Das sollten sie aber und ein Lob-Buch führen. Das hat einen wahnsinnigen Motivationseffekt. Stellen Sie sich vor, der Chef spricht Ihnen im jährlichen Vier-Augen-Gespräch plötzlich sein Lob für ein Projekt aus, das Monate zurückliegt. Da ist man völlig verblüfft, was er noch alles weiß. Aber das weiß er logischerweise nur, wenn er es sich aufschreibt.