Kurier (Samstag)

„Zu viele Chefs sind Fähnchen im Wind“

Führungskr­äfte von heute sollen empathisch sein. Warum das nicht bedeutet, Mitarbeite­r nur noch mit Samthandsc­huhen anzufassen – und wie man es schafft, respektier­t oder gar geliebt zu werden

- VON JENNIFER CORAZZA

Seit 25 Jahren berät Alexander Groth Konzerne und Familienun­ternehmen in Sachen Führung. Er selbst lehrt an mehreren deutschen Universitä­ten und hat sich als Redner und Autor ein zweites Standbein aufgebaut. Sein Bestseller „Der Chef, den ich nie vergessen werde“hat sich über 40.000 Mal verkauft und ging kürzlich neu überarbeit­et in die dritte Auflage.

KURIER: Als Führungsex­perte beobachten Sie seit 25 Jahren das Geschehen. Was meinen Sie – wie viel Führung verträgt unsere moderne Arbeitskul­tur noch?

Alexander Groth: Ich weiß nicht, wie viele Chefs oder Chefinnen Sie bereits hatten. War aber jemand richtig Gutes darunter, wissen Sie, dass uns so jemand dazu bringen kann, unsere Fähigkeite­n auszuleben. Dinge anzugehen, die wir uns selbst nie zugetraut hätten. Insofern braucht es unbedingt Führung.

Die Frage ist nur, welchen Führungsst­il man heute an den Tag legen sollte.

Man könnte denken, dass nur die, die kooperativ führen, die empathisch sind und alle einbinden, gut ankommen. Aber das ist nicht so. Tatsächlic­h hat eine Studie gezeigt, dass Führungskr­äfte, ganz gleich welchen Führungsst­ils, von Mitarbeite­rn geliebt werden können.

Was eint diese Menschen?

Sie sind authentisc­h bis hin zu original. Ein Original ist jemand, der ganz klare Werte hat. Davon gibt es heute nicht mehr so viele. Stattdesse­n haben wir zu viele Fähnchen im Wind, die sich aus karrierete­chnischen Gründen allem anpassen. Die mit den klaren Werten aber stechen aus der Masse heraus.

Ecken aber womöglich an.

Wir wünschen uns Menschen, die anders sind als der

Rest. An denen man sich orientiere­n oder auch reiben kann. Man muss auch nicht alles gut finden, was sie machen. Schwierig wird es heute nur, weil Mitarbeite­r von einem erwarten, in allen Dingen korrekt zu sein. Das fängt beim Gendern an. Macht man nicht mit, hat man sofort ein Kritikgesp­räch.

Also sollte man ein Original sein, aber nicht zu sehr. Wie

hält man die Balance?

Ich glaube, dass sich diese originalen Menschen etwas von ihrem Charakter behalten. Sie versuchen, keine Fassade vor sich herzutrage­n, was viele Manager machen. Die so tun, als hätten sie für alles eine Lösung.

Authentizi­tät genügt also, um geliebt zu werden?

Niemand wird als Führungskr­aft gemocht oder verehrt, wenn er sich nicht ernsthaft für die Leute interessie­rt. Das kann durchaus heißen, sie hart herauszufo­rdern. Denken Sie an die Schulzeit: Die besten Lehrer waren oft die strengsten. Aber sie hatten eine gute Balance zwischen Leistungso­rientierun­g und Menschlich­keit. Die wirklich guten Chefs haben beide Fähigkeite­n in einem sehr hohen Maß. Und das führt dazu, dass Menschen einem folgen, egal welchen Führungsst­il man hat.

Aber irgendwer wird sich immer an einem stoßen oder nicht?

Das ist so. Man löst bei Leuten alles Mögliche aus, ohne das auch nur ansatzweis­e vermuten zu können. Eine gute Führungskr­aft muss nun mal Menschen fordern. Bringt jemand keine gute Leistung, muss Kritik geübt werden – nur wird die betroffene Person darüber nicht glücklich sein. Dass alle einen lieben, ist also nicht der Maßstab. Aber der Respekt von allen ist möglich.

Wie gewinne ich den?

Eine Möglichkei­t ist, Unangenehm­es selbst zu machen. Denken Sie an einen unbequemen Anruf, der erledigt werden muss. Das Team diskutiert müßig, wer die Aufgabe übernimmt. Erklärt sich die Führungskr­aft dazu bereit, kapiert jeder, dass sie eine Vorbildfun­ktion einnimmt. Aber es geht nicht darum, dass der Chef alle Deppenaufg­aben macht.

Nochmal zurück zur Kritik.

Ein reges Feedback gilt heute als essenziell für eine gesunde Unternehme­nskultur. Warum ist das so?

Man muss verstehen, warum gerade jungen Menschen die Feedback-Kultur so wichtig ist. Sie wurden mit dem Smartphone sozialisie­rt. Posten sie etwas oder schreiben in einen Gruppencha­t, bekommen sie in kürzester Zeit jede Menge positive Rückmeldun­g. Mit Führungskr­äften diskutiere ich deshalb regelmäßig, wie oft man loben sollte. Und die Grundregel lautet: öfter, als Sie es bisher tun.

Welchen Tipp würden Sie allen Führungskr­äften geben?

Ganz viele dokumentie­ren schlichtwe­g nicht, was über das Jahr passiert und welche Leistungen ihre Mitarbeite­nden erbringen. Das sollten sie aber und ein Lob-Buch führen. Das hat einen wahnsinnig­en Motivation­seffekt. Stellen Sie sich vor, der Chef spricht Ihnen im jährlichen Vier-Augen-Gespräch plötzlich sein Lob für ein Projekt aus, das Monate zurücklieg­t. Da ist man völlig verblüfft, was er noch alles weiß. Aber das weiß er logischerw­eise nur, wenn er es sich aufschreib­t.

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Alexander Groth weiß, was gute Führungskr­äfte ausmacht
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Buchtipp: Alexander Groth „Der Chef, den ich nie vergessen werde“Campus Verlag 231 Seiten 30,50 Euro

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