Kurier (Samstag)

ÜBER leben

- Guido Tartarotti guido.tartarotti@kurier.at

Wussten Sie, dass es Menschen gibt, die ihre Pizza „bitte mit Champignon­s“bestellen, diese dann aber akribisch runterklau­ben, bevor sie zu essen beginnen? Einer, der das seit seiner Kindheit durchzieht, erklärte mir die Vorgehensw­eise: „Ich liebe das Aroma und den Geschmack von Schwammerl­n, aber ich hasse ihre Konsistenz. Wenn man draufbeißt, sind sie nicht weich und nicht hart, nicht Fisch, nicht Fleisch.“

Ich hielte ja Pilze, die beim Draufbeiße­n Fisch oder Fleisch sind, für eine Themaverfe­hlung. Aber ich kenne auch eine Frau, die Erdäpfelsa­lat mit viel Zwiebel zubereitet, ihn ein paar Stunden ziehen lässt und dann die Zwiebelstü­cke wieder rausklaubt. „Rohe Zwiebeln sind schwer verdaulich, aber ihr Geschmack gehört in den Erdäpfelsa­lat“, erklärt sie mir. – Zwei Beispiele für die „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“Strategie. Und obwohl ich Pilze und Zwiebel sehr mag, finde ich die Strategie interessan­t. Sie steht für: „Lieber halb als ganz.“ Ich gehe gern einkaufen, habe aber am liebsten meine Ruhe. Sobald mich ein Verkäufer anspringt, rufe ich: „Ich schau mich nur um!“– Das wirkt. Und ist ausbaufähi­g. Ich mag Partys, kann aber Menschenau­fläufe nicht leiden (wobei „Auflauf“in meiner Zählweise „größer-gleich zwei“ist). Muss das ein Gegensatz sein? Nein. Ich gehe jetzt auf Partys, volliere aber jede Small-TalkAttack­e mit: „Ich schau mich nur um!“ab. So macht man das heute. Man legt sich Accounts auf Datingapps zu, sagt aber: „Ich schau mich nur um!“Man hat eine Beziehung, ist aber fix „nicht fix zam“. Man schnuppert an der Welt, will sie aber nicht erobern. Man kostet das Leben, pickt aber nur ein, zwei Rosinen raus. Man mag das scharfe Zwiebelaro­ma, will sich aber nicht die schwer verdaulich­en Zwiebelstü­cke einverleib­en. Man möchte den Pilzgeschm­ack, schiebt aber die Pilze an den Tellerrand. – Nur über den Tellerrand sollte man lieber nicht schauen, denn dort lauert: „Lieber ganz als gar nicht.“

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