Kurier (Samstag)

Nehammer fordert Kickl zum Kanzler-Duell

Österreich­plan. In Wels läutet Nehammer mit einer knackigen Rede den ÖVP-Wahlkampf ein und erinnert an die christlich-soziale Leitkultur. Aber wie lange bleibt das in Erinnerung?

- VON M. GEBHART, J. HAGER UND M. HAMMERL

Die ÖVP-Mitglieder sind bereits zufrieden mit der Rede von Bundeskanz­ler Karl Nehammer (ÖVP) in der Messehalle Wels, bevor er sie überhaupt gehalten hat. Zumindest parteiinte­rn dürfte die Taktik, den „Österreich­plan“, um den es auch in der Rede gehen wird, vorab an Medien zu spielen, aufgegange­n sein.

1.500 Parteifreu­nde waren für die Kanzler-Rede angemeldet, 2.000 sind laut ÖVP gekommen – manche angeblich per Traktor. Die schwachen Umfragewer­te von rund 20 Prozent kommentier­t ein altgedient­er Lokalpolit­iker gegenüber dem KURIER nicht unironisch: „Den Kickl wollen nur 30 Prozent der Wähler, 70 Prozent wollen ihn nicht.“

Bevor Nehammer sprechen darf, sollen Klubchef August Wöginger, Jugendstaa­tssekretär­in Claudia Plakolm und Generalsek­retär Christian Stocker noch „Fakten“schaffen. In ihrem Faktenchec­k fallen durch: die Asylpoliti­k unter Ex-Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) oder Andreas Bablers (SPÖ) Vorschläge zur Arbeitszei­tverkürzun­g. Dann beschwert sich Wöginger über den komplizier­ten Begriff „kalte Progressio­n“, lobt Nehammer, diese abgeschaff­t zu haben, lobt Nehammer noch mehr und sagt mit Blick auf Nehammers Rede: „Wir verspreche­n, das wird was!“

Spätstarte­r Nehammer

Jetzt aber: Um 16 Uhr hätte er sprechen sollen, mit mehr als einer halben Stunde Verspätung legt Nehammer los. Startschus­s für den Umschwung, Auftakt in den Wahlkampf, denn gewählt wird am …? Die spannendst­e Frage des Abends, jene nach dem Wahltermin, beantworte­t der Kanzler nicht. Seine Parteikoll­egen bleiben auf KURIER-Nachfrage auch eher diffus (siehe unten).

Nehammer startet mit einer Anekdote, die ihn sehr berührt habe. Ein Bauer habe ihn bei einer Veranstalt­ung gefragt: „Warum soll ich den Hof meiner Eltern übernehmen, wenn die Zeiten so herausford­ernd sind?“Nehammer: „Ich muss dir nicht sagen, warum du den Hof übernehmen sollst, weil du die Leidenscha­ft mitbringst, Verantwort­ung zu übernehmen.“

Ihn treibe die gleiche Leidenscha­ft an, erklärt Nehammer: „Dem Land zu dienen und die Herausford­erungen anzunehmen. Und dieses Jahr, 2024, ist das Jahr der Entscheidu­ng.“Haltung und Orientieru­ng wolle er geben, redliche Politik leben, Unpopuläre­s tun – gerade in Krisenzeit­en: „Weil’s richtig ist für das Land und die Menschen.“Er stehe für Gestaltung, nicht für Destruktio­n, sagt Nehammer: „Die einen, die jetzt laut sind auf der politische­n Bühne, radikal sind, Hass säen, die haben ein Ziel: das Schlechte aus den Menschen herauszuho­len. Ich stehe genau für das Gegenteil: das Gute aus den Menschen herauszuho­len!“

Eine „helle Zukunft“wolle er gestalten, verweist Nehammer auf seinen Österreich­plan (siehe rechts). Wie bei über 80 Seiten zu erwarten, geht er nur auf zentrale Punkte ein: Leistung, Wirtschaft, Familie, Sicherheit und Migration. Zur Leistung: Die ÖVP will bis 2030 die Lohnnebenk­osten jährlich um 0,5 Prozentpun­kte senken, Steuern senken, alle Steuern auf Überstunde­n abschaffen. Wer wiederum Vollzeit arbeite, also „volle Leistung“gebe, der erhalte 1.000 Euro Bonus. Ziel: eine Steuer- und Abgabenquo­te von 40 Prozent, also dem OECD-Durchschni­tt. Ein Ziel, das die ÖVP seit mehreren Wahlkämpfe­n erfolglos im Visier hat.

Nehammer will „weg von der österreich­ischen Subvention­itis“, aber auch investiere­n: 20 Milliarden Euro für den Straßenaus­bau, 4,5 Milliarden Euro für die Kinderbetr­euung. Und er will keine Gebühren auf das erste Eigenheim: „Ich möchte bis 2030, dass es eine halbe Million mehr Eigentümer­innen und Eigentümer in Österreich gibt.“Alle stehen auf und klatschen. „Das ist Volksparte­iDNA“, freut sich Nehammer.

Die ÖVP-Leitkultur

Zum Ende schaltet der Kanzler in den vollen Wahlkampfm­odus. Er stehe zum Begriff „Leitkultur“, den nun die Rechtsextr­emen beanspruch­en würden. Die christlich­soziale Leitkultur sei eine Gesellscha­ft des Miteinande­rs, der Toleranz, des Respekts und der demokratis­chen Werte, sagt Nehammer.

„Lassen wir uns diese Leitkultur nicht von den Radikalen wegnehmen und auch nicht von den linken Träumern“, wird Nehammer laut und schickt eine Kampfansag­e – wohl Richtung Kickl: Es werde eine Entscheidu­ng zwischen „demjenigen, der sich in der dunklen Vergangenh­eit verliert und mir, der an die Zukunft dieses Landes glaubt.“Rede aus, Applaus.

Nehammer hat versucht, die Identität der ÖVP in eine dreivierte­lstündige Rede zu packen. Gelungen – bilanziere­n die Zuhörer auch danach. Die entscheide­nde Frage ist, ob das bis zur Wahl in Erinnerung bleibt – vor allem, wenn diese erst Ende September stattfinde­t.

 ?? ?? Im „Jahr der Entscheidu­ng“gehe es um die Wahl zwischen „spalten oder gestalten“, so ÖVP-Chef Karl Nehammer am Ende seiner Rede vor 2.000 Funktionär­en in Wels
Im „Jahr der Entscheidu­ng“gehe es um die Wahl zwischen „spalten oder gestalten“, so ÖVP-Chef Karl Nehammer am Ende seiner Rede vor 2.000 Funktionär­en in Wels
 ?? ?? Stehende Ovationen und Umarmung von Landeschef­s Thomas Stelzer (OÖ) und Johanna Mikl-Leitner (NÖ)
Stehende Ovationen und Umarmung von Landeschef­s Thomas Stelzer (OÖ) und Johanna Mikl-Leitner (NÖ)

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