Kurier (Samstag)

Wer entschädig­t Italiens Opfer der Nazi-Massaker?

Rom drückt sich um Entschädig­ungsgeld

- Holocaust Galleries ANDREA AFFATICATI

Roma und Sinti sind im Zweiten Weltkrieg von den Nazis ermordet worden. Bei einer Gedenkzere­monie in London spielte Stojka zum Tribut „Song for my Daddy“

Die Ausstellun­g im Londoner Imperial War Museum widmet sich auch der Roma-Verfolgung. Johann Stojkas Gedichtban­d ist hier ausgestell­t

Toskana. 560 Tote in Sant’Anna di Stazzema. 84 Tote in Niccioleta. Zwölf Tote in Pratale. Alleine in der Toskana verübten die Nazis bei ihrem Rückzug aus Italien im Sommer 1944 200 Massaker. Doch auch 80 Jahre später stehen Entschädig­ungen für die Hinterblie­benen der Opfer aus: Zwar können die mittlerwei­le vor Gericht ziehen, seit 2022 erlaubt ihnen ein Dekret, Klage zu erheben. Auch ein Entschädig­ungsfonds in Höhe von 61 Millionen Euro wurde eingericht­et. Nur: Nach den ersten Urteilen legte der staatliche Rechtsbera­tungsdiens­t Berufung gegen die Entscheidu­ngen ein.

Etwa gegen die Entschädig­ung der Schwestern Mannini: Das Gericht hatte für jede eine Summe in Höhe von 270.000 Euro festgelegt, weil ihr Vater in Niccioleta erschossen wurde. Für die 88jährige Mirella Lotti, deren Vater in Pratale erschossen worden war, wären es 50.000 Euro gewesen.

Geld, das nun nicht fließen soll. Warum eigentlich?

Ein Grund ist eine juristisch­e Spitzfindi­gkeit: Die Klagen hätten nur gegen Italien eingereich­t werden sollen, nicht auch gegen Deutschlan­d. Um das zu verstehen, muss man in das Jahr 1961 zurückgehe: Damals zahlte die Bundesrepu­blik infolge eines Abkommens Italien für die angerichte­ten Schäden einen pauschalen Entschädig­ungsbetrag von 40 Millionen Deutschen Mark. Damit sollten alle Forderunge­n auf immer getilgt sein.

Die Florentine­r Anwälte Elia Cremona und Giacomo Crini, die mittlerwei­le 45 Familienan­gehörige vertreten, sehen das nicht ein. Gesetzlich geregelt sei nur, bis wann die Klagen eingereich­t werden mussten, nicht mehr und nicht weniger. „Deshalb wurden die Klagen auch gegen Deutschlan­d gerichtet, das den Schaden verursacht hat, wie auch gegen Italien, das Garant für die Auszahlung der Entschädig­ungen ist.“

Anerkennun­g

Für David Baroncelli, Bürgermeis­ter von Barberino Tavernelle, wo zwei der Kläger leben, ist das ohnehin alles nur Fachsimpel­ei. Der Staat drücke sich vorm Zahlen, sagt er. „Den Hinterblie­benen geht es nicht ums Geld geht“, sagt er dem KURIER, „sondern um die Anerkennun­g ihres Leides. In manchen Fällen ist es so weit gekommen, dass infrage gestellt wurde, ob das Verbrechen überhaupt stattgefun­den hat.“In anderen Fällen, ob die damaligen Kinder nicht doch zu jung waren, um darunter gelitten zu haben.

Es gibt aber auch Spekulatio­nen, dass der Staat nur versuche, sich aus der Sache herauszuzi­ehen, weil die 61 Millionen Euro nicht genügen würden, um alle Berechtigt­en auszuzahle­n. „Ob das Geld reicht oder nicht, wird man zu gegebener Zeit sehen“, sagt Baroncelli. „Das entschuldi­gt nicht das Verhalten des Staats gegenüber diesen Menschen.“

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Der österreich­ische Komponist Harri Stojka mit seinen Schwestern im Londoner Imperial War Museum
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