Wer entschädigt Italiens Opfer der Nazi-Massaker?
Rom drückt sich um Entschädigungsgeld
Roma und Sinti sind im Zweiten Weltkrieg von den Nazis ermordet worden. Bei einer Gedenkzeremonie in London spielte Stojka zum Tribut „Song for my Daddy“
Die Ausstellung im Londoner Imperial War Museum widmet sich auch der Roma-Verfolgung. Johann Stojkas Gedichtband ist hier ausgestellt
Toskana. 560 Tote in Sant’Anna di Stazzema. 84 Tote in Niccioleta. Zwölf Tote in Pratale. Alleine in der Toskana verübten die Nazis bei ihrem Rückzug aus Italien im Sommer 1944 200 Massaker. Doch auch 80 Jahre später stehen Entschädigungen für die Hinterbliebenen der Opfer aus: Zwar können die mittlerweile vor Gericht ziehen, seit 2022 erlaubt ihnen ein Dekret, Klage zu erheben. Auch ein Entschädigungsfonds in Höhe von 61 Millionen Euro wurde eingerichtet. Nur: Nach den ersten Urteilen legte der staatliche Rechtsberatungsdienst Berufung gegen die Entscheidungen ein.
Etwa gegen die Entschädigung der Schwestern Mannini: Das Gericht hatte für jede eine Summe in Höhe von 270.000 Euro festgelegt, weil ihr Vater in Niccioleta erschossen wurde. Für die 88jährige Mirella Lotti, deren Vater in Pratale erschossen worden war, wären es 50.000 Euro gewesen.
Geld, das nun nicht fließen soll. Warum eigentlich?
Ein Grund ist eine juristische Spitzfindigkeit: Die Klagen hätten nur gegen Italien eingereicht werden sollen, nicht auch gegen Deutschland. Um das zu verstehen, muss man in das Jahr 1961 zurückgehe: Damals zahlte die Bundesrepublik infolge eines Abkommens Italien für die angerichteten Schäden einen pauschalen Entschädigungsbetrag von 40 Millionen Deutschen Mark. Damit sollten alle Forderungen auf immer getilgt sein.
Die Florentiner Anwälte Elia Cremona und Giacomo Crini, die mittlerweile 45 Familienangehörige vertreten, sehen das nicht ein. Gesetzlich geregelt sei nur, bis wann die Klagen eingereicht werden mussten, nicht mehr und nicht weniger. „Deshalb wurden die Klagen auch gegen Deutschland gerichtet, das den Schaden verursacht hat, wie auch gegen Italien, das Garant für die Auszahlung der Entschädigungen ist.“
Anerkennung
Für David Baroncelli, Bürgermeister von Barberino Tavernelle, wo zwei der Kläger leben, ist das ohnehin alles nur Fachsimpelei. Der Staat drücke sich vorm Zahlen, sagt er. „Den Hinterbliebenen geht es nicht ums Geld geht“, sagt er dem KURIER, „sondern um die Anerkennung ihres Leides. In manchen Fällen ist es so weit gekommen, dass infrage gestellt wurde, ob das Verbrechen überhaupt stattgefunden hat.“In anderen Fällen, ob die damaligen Kinder nicht doch zu jung waren, um darunter gelitten zu haben.
Es gibt aber auch Spekulationen, dass der Staat nur versuche, sich aus der Sache herauszuziehen, weil die 61 Millionen Euro nicht genügen würden, um alle Berechtigten auszuzahlen. „Ob das Geld reicht oder nicht, wird man zu gegebener Zeit sehen“, sagt Baroncelli. „Das entschuldigt nicht das Verhalten des Staats gegenüber diesen Menschen.“