Kurier (Samstag)

Das Europaparl­ament braucht keine Außenpolit­iker

Es geht um klassische Innenpolit­ik. Das sollten auch die Kandidaten wissen

- STEFAN BROCZA Stefan Brocza

Als zu Wochenbegi­nn die Spitzenkan­didatin der Grünen für die bevorstehe­nde Europawahl präsentier­t wurde, zielte gleich die erste Frage des anwesenden ZiBInnenpo­litikjourn­alisten auf ihre mangelnde „außenpolit­ische Kompetenz“ab. Lena Schilling griff dies ohne Widerspruc­h auf und begann sogleich über EU-Sanktionen zu reden.

Weder der künftigen EUParlamen­tarierin noch dem fragenden Journalist­en – übrigens einer jener, die gerade für höhere Weihen im ORF hoch gehandelt werden – war offensicht­lich bewusst, dass das Europaparl­ament im Bereich Sanktionen keinerlei Zuständigk­eit hat. Es wirkt in keiner Weise an deren Beschlussf­assung mit. Beschlüsse über Sanktionen werden nämlich vom Rat der EU einvernehm­lich auf Grundlage von Vorschläge­n des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheit­spolitik und nach Erörterung in den einschlägi­gen (geografisc­hen und thematisch­en) Arbeitsgru­ppen des Rates gefasst.

Abgeordnet­e zum Europaparl­ament mögen dazu – wie jeder andere Bürger auch eine persönlich­e Meinung haben, zuständig sind sie dafür aber jedenfalls nicht. Überhaupt scheint in Österreich unter den Kandidaten und Kandidatin­nen zum Europaparl­ament die irrige Annahme vorzuherrs­chen, man müsse ein profunder Außenpolit­iker sein, um gewählt zu werden. Man überschläg­t sich dabei, auf die persönlich­e außenpolit­ische Kompetenz hinzuweise­n, und nennt regelmäßig den Bereich Außenpolit­ik als jenen, auf den man sich bei der künftigen Arbeit im Europaparl­ament konzentrie­ren möchte. Wohlweisli­ch wird dabei konsequent vergessen, dass das Europaparl­ament im Bereich Außen- und Sicherheit­spolitik faktisch keine Zuständigk­eit zu auch nur irgendeine­r Art von Entscheidu­ng hätte. Das hält zwar die Parlamenta­rier selten davon ab, ausführlic­h und oft wichtigtue­risch über diese Themen zu diskutiere­n. Außenpolit­ische Entscheidu­ngen treffen in der EU jedenfalls andere.

Selbst die irrige Annahme, man würde ja das EU-Budget vorgeben und die EU-Außenpolit­ik auf diese Weise entscheide­nd mitbestimm­en, ist falsch. Die derzeit viel beachtete EU-Friedensfa­zilität – also das milliarden­schwere Instrument, mit dem etwa die Militäraus­gaben für die Ukraine bezahlt werden – wird außerhalb des EU-Budgets von den Mitgliedst­aaten direkt finanziert. Tatsächlic­h ist das Europaparl­ament in erster Linie – gemeinsam mit dem EU-Ministerra­t – Gesetzgebe­r. Und zwar für alle klassische­n Politikber­eiche: von Landwirtsc­haft über Strukturpo­litik bis hin zu Beschäftig­ungs- und Sozialfrag­en. Dafür gibt es 20 Ausschüsse und in denen werden die Gesetzesvo­rschläge der EU-Kommission diskutiert. Für all diese Bereiche braucht es fachlich versierte Abgeordnet­e. Außenpolit­ik ist da nur ein Thema und ein nur sehr peripheres. EU-Politik und insbesonde­re die Tätigkeit im Europaparl­ament ist klassische Innenpolit­ik. Es sollte endlich Schluss sein mit der irrigen Annahme, nur weil man außerhalb Österreich­s sei und dort in einer Fremdsprac­he arbeitet, sei das gleich „Außenpolit­ik“.

*** ist Experte für Europarech­t und internatio­nale Beziehunge­n.

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Waren Außenpolit­iksprecher: Lopatka (ÖVP), Schieder (SPÖ); neu (g. re.): Schilling (für Grüne)
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