Hello Kitty wird 50, eine Schau in London widmet sich der Niedlichkeit und bald gibt es mehr Katzenfotos im Internet als Menschen. Wie kam es zum süßen Siegeszug?
Pink ist in.
Als Tim Berners-Lee, der Begründer des World Wide Web, 2014 gefragt wurde, welche Verwendung des Internets er nicht erwartet hatte, antwortet er mit einem einzigen Wort: Kätzchen. In diesem Jahr alleine waren zwei Millionen Katzenvideos auf YouTube gestellt worden.
Mittlerweile sind es nicht nur mehrere Dutzend Millionen Videos im Jahr, die wir auf sozialen Medien süß finden. Heute geht das Phänomen weit über das Internet hinaus. Die „Niedlichkeit“, brachte es die britische Kuratorin Claire Catterall diese Woche auf den Punkt, „hat sich angeschlichen, wie ein kleines Kätzchen, das zum Sprung bereit ist“.
Heute ist alles süß. Junge Menschen nennen einander Süßmäuse und Süßkartoffeln; Outfits werden als cute und Urlaubsdestinationen als herzig tituliert. Auf Instagram und TikTok haben Cosplayer (Verkleidete) und Gamer in knallbunten Schulmädchenoutfits Millionen Follower.
Furby ist zurück
In Amsterdam sorgte ein PikachuGemälde im Stil von Van Gogh für Aufruhr, das Stofftier Furby ist zurück und wer diese Woche die Waterloo Bridge in London überquert, kommt nicht umhin, vor dem Somerset House innezuhalten. Denn auf dem Vorplatz steht die Verkörperung der Niedlichkeit: eine meterhohe Hello-KittyFigur mit Zwinker-Smiley-Herz. Die Statue macht nicht nur auf den 50. Geburtstag der japanischen Kultfigur aufmerksam, sondern auch auf die Ausstellung im Somerset House, die sich noch bis 14. April einem einzigen Adjektiv widmet: Cute. Niedlich.
Was ist das eigentlich genau? Kuratorin Claire Catterall schmunzelt. Es ist die Frage, die sie in den jüngsten Wochen am häufigsten gestellt bekommen hat. „Aber so einfach ist das nicht. Niedlichkeit hat etwas Nicht-Festmachbares. Sie ist nicht nur das
oder das andere; es kann viele verschiedene Dinge sein – und genau darin liegt ihre Kraft.“
Ein paar Parameter sind aber doch klar. Im Eingangsbereich der Ausstellung reihen sich 18 Katzenbilder aneinander. Die Künstlerin hat das KI-Programm Lexica Aperture auf Englisch mit Angaben wie „niedliche weiße Katze mit Flügeln“gefüttert. Die daraus entstandenen Bilder zeigen Katzen mit großen Augen, weiche Stoffe, leicht diffuses Licht. Ein Beweis, wie konkret die Künstliche Intelligenz das Wort cute versteht.
Aber woher kommt unser Faible für das Weiche und das
Verspielte, den unschuldigen Blick und die großen Augen?
Rein biologisch, erörterten Wissenschafter der Universität Oxford, kapern süße Dinge aus evolutionären Gründen unser Gehirn. „Babys“, schreibt Professor Morten L. Kringelbach im Forschungsportal The Conversation, „sind so konzipiert, dass sie sich an die Spitze der Warteschlange stellen – der Warteschlange unseres Gehirns. Sie haben Vorrang vor allem anderen, was es schwierig macht, sie zu ignorieren“.
Das sei auch überlebensnotwendig: Babys sind hilflos, sie brauchen Liebe und Aufmerksamkeit, um zu überleben. Und die bekommen sie, weil sie niedlich sind – mit ihren Pausbacken, der Knubbelnase, dem betörenden Duft, der weichen Haut: unser Fürsorglichkeitsinstinkt setzt ein.
Denn Untersuchungen haben ergeben, dass jene Teile unseres Gehirns, die für Emotionen und Freude zuständig sind, aktiver sind, nachdem wir Babys angesehen haben.
Ablenkungsmanöver
Niedliche Objekte, argumentiert der englische Philosoph Simon May in seinem Buch The Power of Cute dann weiter, sind infantiles Ablenkungsmanöver in der heutigen Welt, in „der halsbrecherischer Wettbewerb und Wandel die Menschen über Nacht von ihrem Arbeitsplatz, ihrer Gemeinschaft und ihren Identitäten verdrängen“kann. Sie sind „Quellen sicherer und verlässlicher Intimieine tät in einer Zeit, die auf eine Explosion von Ängsten, Wut, Beschwerden und Ungerechtigkeiten zuzusteuern scheint“, ergänzt er dazu noch.
Vor allem aber sieht er in ihnen „einen neckischen Ausdruck der Unklarheit, der Ungewissheit, des Unheimlichen“.
Freie Emotionen
Zur möglichen Reaktion auf die ungeheure, unsichere Welt kommt aber auch noch ein kultureller Wandel.
„Generell“, sagt SoziologieProfessorin Anna Durnova von der Universität Wien, „wird im öffentlichen Raum mehr über Emotionen gesprochen“. Nicht nur in der Kultur, sondern etwa auch in der Erziehung. „Wir sprechen schon im frühen Kindesalter über emotionale Intelligenz.“Und sogar in der Politik. „Wir sehen Politiker, die weinen, die einander umarmen, die emotionalisierende Reden halten.“Alte Normen sind weggefallen, alte Muster aufgebrochen.
Freilich, ganz fair und frei ist unsere Gesellschaft noch nicht. „Nicht alle Emotionen werden als gleich gut wahrgenommen und die Emotionen nicht bei allen Menschen gleich bewertet.“Und doch sieht Anna Durnova den aktuellen Trend als Chance einer neuen Wahrnehmung. Weiblichkeit und Emanzipation zu verbinden; und eine neue Männlichkeit zu kreieren, die auch Tränen erlaubt.
Denn Niedlichkeit kennt auch hier keine Grenzen.
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Vormals Tuchlauben. Manche Stammgäste im Café Kralicek erinnern sich noch daran: In den Tuchlauben gab es einst ein kleines, nicht sonderlich bedeutendes Kaffeehaus, das den naheliegenden Namen Café Tuchlauben trug. Nach einer Neuübernahme taufte der neue Betreiber – er hieß mit Vornamen Markus – das Lokal auf Café Markusplatz um.
Das neue Café war ziemlich okay, deutlich besser als das alte. Aber als das Markusplatz nach zehn Jahren wieder zusperrte (heute befindet sich dort ein Herrenmodegeschäft), haben die meisten Gäste immer noch Tuchlauben zu ihm gesagt. Gut eingeführte Namen sind wie große Lieben, man kriegt sie nicht mehr aus dem Kopf.
„Im öffentlichen Raum wird immer mehr über Emotionen gesprochen. Wir sehen sie mehr, nehmen sie mehr wahr“Anna Durnova, Soziologin
Jeden zweiten Freitag eine neue Folge Der Mental Health Podcast