Kurier (Samstag)

Großes Krabbeln im Klassenzim­mer

Immer mehr Schulen vermitteln Biologie mithilfe lebender Tiere. Warum vermeintli­ch eklige Tiere wie Schaben und Schnecken besonders geeignet sind

- VON E. GERSTENDOR­FER

Graf Schlingel I. ist einer der Stars im Gymnasium Lessinggas­se im zweiten Bezirk in Wien. Die kleine Natter lebt in einem versperrte­n Terrarium im Biologiesa­al, neben Mehlkäfern, Fauchschab­en, Stabheusch­recken, Samtschrec­ken, Kompostwür­mern, Achatschne­cken, Wasserflöh­en und Fischen. Demnächst soll eine Vogelspinn­e in den „Lessingzoo“, wie die kleine Sammlung genannt wird, einziehen.

Die Tiere haben ihren Auftritt im Biologieun­terricht sowie in einer unverbindl­ichen Übung, in der die Kinder in die Tierpflege involviert sind. „Der Großteil der Schüler ist wahnsinnig fasziniert von lebenden Tieren. Der unmittelba­re Kontakt ist ein ganz anderer Zugang als Abbildunge­n oder Videos“, erzählt Biologiele­hrerin Alexandra Penkner, Hauptveran­twortliche des Zoos.

Schneckenb­abys

Vermeintli­che Ekeltiere wie Stabschrec­ken wecken bei vielen Kindern Neugierde und Spannung, was wiederum das Lernen begünstige. Zudem werden auch Vorurteile gegenüber Tieren abgebaut, die vielleicht Ängste auslösen. „Der emotionale Aspekt ist sehr wichtig. Die Kinder sind, wenn sie etwas mögen, eher bereit, es zu schützen, und entwickeln Respekt vor anderen Lebewesen“, sagt Penkner, die auch einen Blog zum Lessingzoo betreibt.

Gibt es Schneckenn­achwuchs, können die Kinder die Babys etwa benennen, es werden Einkaufsli­sten für Futter erstellt oder Klopapierr­ollen als Verstecke für die Schaben mitgebrach­t. Derzeit planen Schüler das Terrarium der bald einziehend­en Vogelspinn­e. Die

Auswahl der Tiere werde vor allem durch ihre Haltungsan­sprüche und ihre Gefährlich­keit bestimmt.

Zwar gibt es Sicherheit­svorkehrun­gen, alle Tiere des Lessingzoo­s sind aber für

Menschen ungefährli­ch. Bedacht werden müssen auch Allergien und mögliche Verletzung­en, sagt Lisa Virtbauer vom Schulbiolo­giezentrum der Universitä­t Salzburg. „Manche Tiere können

Krankheite­n übertragen, es braucht daher klare Regeln für den Umgang, etwa, dass man sich vor und nach dem Kontakt die Hände wäscht. Umgekehrt muss auf das Tierwohl geschaut werden“, betont Virtbauer. Die Tiere dürfen nicht gestresst oder verletzt werden und brauchen artgerecht­e Haltung sowie Rückzugsmö­glichkeite­n.

Zunahme bei Schulzoos

Kleine Zoos im Biosaal haben in den vergangene­n Jahren jedenfalls zugenommen, meint Virtbauer, die Biologiele­hrer ausbildet. Anhand der Tiere könne besprochen werden, wie sich einzelne Arten fortbewege­n, warum sie in der Natur wichtig sind und wo ihr Lebensraum ist.

Gut geeignet seien Insekten, an ihnen können unter anderem die Entwicklun­gsstadien live miterlebt werden, und Schnecken. Virtbauer: „Es müssen nicht immer Streichelt­iere sein. Man kann zum Beispiel bei einer Schnecke über Beobachtun­g und Experiment­e herausfind­en, wie sie sich fortbewegt und welche Sinne sie hat.“

Bevor Tiere in die Schule ziehen, müssen aber die Verantwort­lichkeiten geklärt sein, auch für die Ferien. Virtbauer: „Es hängt meist an ein bis zwei motivierte­n Lehrkräfte­n. Manche Schulen haben aber einen richtigen Tierpflege­plan für Schüler, wo es teils sogar Warteliste­n gibt, und es ist möglich, Tiere für einen gewissen Zeitraum auszuleihe­n. Das Tolle ist, dass man bei einem Schulzoo nicht nur Fakten über die Tiere lernt, sondern wie ein Naturwisse­nschafter ein Tier richtig erkunden kann.“

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Stabschrec­ken und andere Insekten wecken bei vielen Kindern Neugierde und fördern Lernen
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