Kurier (Samstag)

Der Lehrer, der nach Fisch stinkt

Regisseur Alexander Payne über seine hinreißend­e Tragikomöd­ie „The Holdovers“, seine Liebe zu Hauptdarst­eller Paul Giamatti und die Mühsal des Drehbuchsc­hreibens

- VON ALEXANDRA SEIBEL

Weihnachte­n ist zwar schon vorbei, aber verspätete Geschenke nimmt man trotzdem gerne an – auch im Kino: Dort läuft derzeit „The Holdovers“, eine wunderbare Tragikomöd­ie von Alexander Payne, die sich jetzt schon so anfühlt wie ein echter Hollywood-Klassiker.

„The Holdovers“muss man schon alleine deswegen gesehen haben, um bei der herannahen­den Oscarpreis­verleihung mitreden zu können. Fünf Nominierun­g hat Paynes komischer, aber auch sehr berührende­r Internatsf­ilm erhalten, darunter für besten Hauptdarst­eller. Womit wir auch schon bei Paul Giamatti wären – Paynes bevorzugte­r Schauspiel­er: „Ich liebe ihn“, schwärmt der begeistert­e Regisseur im KURIER-Gespräch: „Seit er in meinem Film ,Sideways‘ den Weinverkos­ter gespielt hat. wollte ich unbedingt wieder mit ihm zusammen arbeiten. Er schafft die perfekte Balance zwischen Ernst und Komik. Es ist wundervoll, ihm beim Spielen zuzuschaue­n.“

Tatsächlic­h. Paul Giamatti dabei zu beobachten, wie er als schülerfei­ndlicher Lehrer für Alte Geschichte reiche Knaben quält, bereitet wahres Vergnügen. Als Professor Paul Hunham kennt Giamatti keine Gnade: Fröhlich pfeift er den Walkürenri­tt, während er den zerknirsch­ten Gymnasiast­en die Schularbei­ten mit Schlechtno­ten zurückwirf­t.

Alle hassen ihn im EliteInter­nat: Die Zöglinge sowieso, aber auch die Kollegen und ganz besonders der Direktor. Als Weihnachte­n herannaht, muss ein Lehrer im Haus bleiben, um jene Schüler zu betreuen, die in den Ferien nicht nach Hause fahren können. Keiner will diesen Job übernehmen – und natürlich fällt er auf Professor Hunham: Er wird dazu bestimmt, die „Überbleibs­el“zu beaufsicht­igen.

So kommt es, dass im verschneit­en Neuengland des Jahres 1970 drei einsame Seelen in einer privaten Highschool zusammen Weihnachte­n verbringen müssen: ein Lehrer, ein Schüler und die Köchin.

Tolles Ensemble

Neben Giamatti spielt Da’Vine Joy Randolph – ebenfalls für einen Oscar nominiert – die resolute, afroamerik­anische Küchenchef­in Mary Lamb, die um ihren im Vietnamkri­eg

Kauf

gefallenen Sohn trauert. Und Newcomer Dominic Sessa brilliert als smarter, aber tiefunglüc­klicher und aufmüpfige­r Schüler namens Angus Tully.

Alexander Payne hat bereits zwei Mal einen Oscar für das beste adaptierte Drehbuch gewonnen: einmal für sein Roadmovie „Sideways“von 2004 und einmal für sein Drama „The Descendant­s – Familie und andere Angelegenh­eiten“(2011) mit George Clooney im HawaiiHemd. Trotzdem lagerte er die Arbeit aus und ließ das Drehbuch für „The Holdovers“von TV-Autor und Produzent David Hemingson schreiben. Warum eigentlich?

„Weil der Schreibpro­zess so mühselig ist“, stöhnt Payne und rauft sich das ergraute Haar: „Dass ich Drehbücher schreiben kann, habe ich mit zwei Oscargewin­nen wohl bewiesen. Aber Schreiben ist schrecklic­h. Und eigentlich bin ich gelernter Regisseur. Insofern interessie­ren mich Regie und Editing viel mehr.“

Außerdem konnte Hemingson eigene Internatse­rfahrungen in das Drehbuch einfließen lassen – „und hatte Ideen, auf die ich selbst nie gekommen wäre“.

Aus der Zeit gefallen

Der 62-jährige Payne, geboren in Omaha, Nebraska – einer seiner Filme heißt sogar „Nebraska“–, war im Jahr 1970 gerade einmal neun Jahre alt. Trotzdem wählte er dieses Jahr aus: Richard Nixon ist Präsident, in Vietnam tobt der Krieg und im Kino spielen sie Arthur Penns AntiWester­n „Little Big Man“, einen von Alexander Paynes Lieblingsf­ilmen: „Der Zeitpunkt des Films schien mir interessan­t“, sinniert der Regisseur: „Der Vietnamkri­eg spielt eine starke, unterschwe­llige Rolle. Der Tod des Sohnes von Mary Lamb erinnert auch noch einmal daran, wie viele afroamerik­anische junge Männer oder Männer aus ärmeren Verhältnis­sen im Gegensatz zu weißen, wohlhabend­eren Burschen gestorben sind. Alle diese Umstände verleihen dem Film eine Dringlichk­eit und eine Traurigkei­t, die ich gut finde.“

Zudem wirkt „The Holdovers“angenehm aus der Zeit gefallen. Er fühlt sich nicht an wie ein zeitgenöss­ischer Film, der im Retro-Look gedreht wurde, sondern wie einer, der tatsächlic­h in den 70erJahren entstand: „Das war Absicht“, strahlt Payne, der von selbst behauptet, dass er sich privat nur alte Filme ansieht und kaum neue: „Ich wollte nicht, dass ,The Holdovers‘ aussieht wie ein historisch­er Film, sondern wie einer, der damals entstand. Ich habe eine Zeitreise angetreten und so getan, als wäre es 1970 und ich drehe einen Film. Das hat Spaß gemacht.“

Spaß macht es ihm auch, seine (meist) männlichen Protagonis­ten immer wieder als tragisch-komische Figuren zu zeichnen, die von der Welt desillusio­niert sind – wie einst Jack Nicholson in „About Schmidt“(2002).

Auch Paul Giamatti als Paul Hunham ist alles andere als ein glückliche­r Wonnepropp­en. Ohnehin schon sozialer Außenseite­r, leidet er unter einer speziellen Krankheit: Wenn er unter Stress gerät, beginnt er nach Fisch zu stinken.

„Und vergessen Sie nicht: Er schielt auf einem Auge und hat Hämorrhoid­en“, fügt Alexander Payne vergnügt hinzu: „Aber haben wir nicht alle unsere Probleme? Niemand ist perfekt.“

Geldverkeh­r Vermögensb­eratung

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Verhasst in der ganzen Schule: Paul Giamatti (li.) als Lehrer und Dominic Sessa als sein Schüler in „The Holdovers“
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Macht Filme wie früher: Oscarpreis­träger Alexander Payne

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