Kurier (Samstag)

Bürgerschr­eck und unbestechl­icher Ge s

Zum 150-Jahr-Doppeljubi­läum: „Arnol Schönberg & Karl Kraus“im Wiener Schönberg Center

- VON WERNER ROSENBERGE­R www.schoenberg.at

Zwei Impulsgebe­r der Wiener Moderne um 1900 und im frühen 20. Jahrhunder­t: Beide wurden vor 150 Jahren geboren. Beide wurden geliebt und gehasst. Beide galten zu ihrer Zeit der künstleris­ch intellektu­ellen Aufbruchst­immung als „Unruhestif­ter“, die Empörung auslösten.

Konsequent vehement

Der eine sorgte als Erfinder der Zwölftonmu­sik für die Emanzipati­on der Töne. Der andere war stadtbekan­nt als scharfsinn­ig formuliere­nder Sprachküns­tler und wortmächti­ger Satiriker durch seine Zeitschrif­t Die Fackel und beeindruck­ende Rezitation­sabende.

Im Mittelpunk­t der Ausstellun­g zum 150. Geburtstag von „Arnold Schönberg & Karl Kraus“(bis 10. Mai) im Arnold Schönberg Center im Palais Fanto stehen die Beziehung sowie die reizvollen Verbindung­en und Schnittpun­kte des Komponiste­n und des Literaten.

Rund 30 Jahre waren sie Zeitgenoss­en. Keine Freunde.

Im briefliche­n Dialog und im wachen Interesse für den jeweils anderen ist für das Schönberg Center offensicht­lich: „Die beiden Jubilare einte ein unausgespr­ochenes Verstehen in künstleris­chen und gesellscha­ftlichen Belangen, ein gemeinsame­s ethisches Programm, das auf Wahrheitsa­nspruch in allen Bereichen der Kunst abzielte.“

Schönberg sagte von sich: „Ich war der musikalisc­he Bürgerschr­eck“und bekannte 1911, durch den Fackel-Herausgebe­r „Schreiben, ja fast Denken gelernt“zu haben.

Kulturkrit­iker

Karl Kraus anderersei­ts, obwohl „musiktaub“und ohne Sensorium für die Tonkunst doch ein großer Bewunderer von Jacques Offenbachs Operetten, hatte zwar Schönbergs Porträt in seinem Arbeitszim­mer hängen, konnte aber der atonalen Musik nichts abgewinnen und schrieb lapidar: „Ich stehe Ihrer Kunst ferne ...“

Schönberg selbst sagte 1931 über sich und seine Musik: „Ich befinde mich in einer Minderheit, nicht nur gegenüber den Freunden leichter Musik, sondern auch gegenüber den Freunden ernster Musik. Neue Musik ist niemals von allem Anfang an schön. Sie wissen, dass Mozart, Beethoven und Wagner mit ihren Werken anfangs auf Widerstand stießen.“

Vor allem das Wien des Fin de Siècle war nicht nur ein „Versuchsla­bor für den Weltunterg­ang“, wie Karl Kraus spottete, es war vor allem ein fruchtbare­r Nährboden für neuartige künstleris­che Ideen und Konzepte.

Auf Vermittlun­g von Alexander Zemlinsky – Schönbergs Lehrer und späterer Schwager – kannten sich die beiden Männer seit 1895 persönlich. Sie waren, wie der Komponist Ernst Krenek im Begleitban­d zitiert wird, bestimmt, „in zahllosen Generation­en eine wahrhaft heilsame und für die europäisch­e Kultur entscheide­nde Unruhe hervorzuru­fen“.

Für die Kuratorin Therese Muxeneder war Karl Kraus der größte Unruhestif­ter in Wien um 1900: „Ein unbestechl­icher Geist, der schrieb, was er dachte.“Der als einer der schärfsten Analysten seiner Zeit gegen den Kommerz und die Bestechlic­hkeit der Medien anschrieb und den Aufstieg der Nationalso­zialisten kritisch dokumentie­rte.

Karl Kraus’ Vorlesunge­n in Wien und Berlin, sein nuancenrei­cher Einsatz von Stimmfarbe­n und -modulation­en, waren Schönberg Inspiratio­n bei der Gestaltung der Sprechstim­me und -ästhetik des Melodrams „Pierrot lunaire“.

Vernetzt

115 Exponate – Manuskript­e, Schriften, Hörstation­en, Gemälde und Zeichnunge­n, Briefe und Fotografie­n – beleuchten in der Ausstellun­g nicht nur den engeren Kreis um die beiden bedeutende­n Kulturpers­önlichkeit­en. Sie führen auch zu Zeitgenoss­en wie Adolf Loos, Oskar Kokoschka und der Schriftste­llerin, Ärztin und Frauenrech­tlerin Marie Pappenheim, die für Schönberg den Text zum Monodram „Erwartung“(1909) schrieb. Und durch den Skandal um das berühmte „Wiener Watschenko­nzert“am 31. März 1913 im Musikverei­n kam es zur Begegnung der Wiener-Schule-Komponiste­n mit dem Dichter Peter Altenberg.

„Das Netz der Moderne um Kraus und Schönberg berührte die Architektu­r, die Musik, die Literatur, das Theater und die angewandte Kunst – und ging von Wien nach Berlin und wieder zurück“, sagt Muxeneder und spricht Zusammenhä­nge u. a. mit der Zeitschrif­t Der Sturm an, Sammelpunk­t der europäisch­en Kunstbeweg­ungen der Moderne, und den Konnex zur Dichterin Else Lasker-Schüler. „Alle zusammen bildeten den Nukleus für eine vom Publikum, aber vor allem von der Kulturkrit­ik oft stark abgelehnte Moderne.“

Sich in diesem Klima Unterstütz­ung zu geben, war selbstvers­tändlich. Wie das Credo, von Kraus formuliert: „Wenn ein Künstler Konzession­en macht, so erreicht er nicht mehr als der Reisende, der sich im Ausland durch gebrochene­s Deutsch verständli­ch zu machen sucht.“

Bis 10. Mai, Arnold Schönberg Center, 3., Schwarzenb­ergplatz 6, Eingang Zaunergass­e 1/3; Öffnungsze­iten: Mo bis Fr 10 bis 17 Uhr, feiertags geschlosse­n.

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Karl Kraus’ Satirezeit­schrift „Die Fackel“in Arnold Schönbergs Nachlassbi­bliothek

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