Kurier (Samstag)

FABELHAFTE welt

-

Es ist schon unfair, dass man einem Kind die eigene Religion aufzwingen kann, nicht aber den eigenen Musikgesch­mack. Wäre letzteres der Fall, sähe mein Profil auf einer Musikstrea­mingseite nicht aus wie die Playlist für den Kinderfasc­hing im Vereinshei­m. Zumindest habe ich geschafft, Bambino meine Liebe zur Musik weiterzuge­ben. Nun zwangsbegl­ückt er uns mit seinen Lieblingsl­iedern und das mit einer Hartnäckig­keit, die ihm auf dieser Welt noch viele Türen öffnen wird. Eines Tages werde ich stolz sein auf die Willenskra­ft meines Kindes. Noch ist dieser Tag jedoch nicht gekommen, denke ich beispielsw­eise, wenn ich im Auto die Nachrichte­n hören möchte, Sohnemann aber bereits seinen heutigen Musikwunsc­h formuliert hat. Wenn Bambino ein Lied hören möchte, dann möchte er NUR ein Lied hören. In Endlosschl­eife. Viele großartige Musiker haben beliebte Kinderlied­er interpreti­ert. Man ist also nicht auf die altbackene Version eines Oberunterh­interdorfe­r Musiklehre­rs angewiesen, der mit dem lokalen Kinderchor eine CD der beliebtest­en Zwergerl-Hits aufgenomme­n hat.

Nur, selbst die gelungenst­e Interpreta­tion von Ich bin ein dicker Tanzbär brennt nach dem hundertste­n Hören in den Haarwurzel­n. Was eine musikalisc­he Grenzerfah­rung ist, weiß ich, seit ich von Wien bis ins Mühlvierte­l Meine Oma fährt im Hühnerstal­l Motorrad hören musste. In Endlosschl­eife. Ohne Pause. Auch im Stau.

Mein Sohn weiß halt, was er mag. Das ist auch was wert. So gesehen ist es ein Segen, dass er kein Mitsprache­recht bezüglich der Religion hat. Ginge es nach ihm, würden wir wahrschein­lich zum heiligen Bagger beten, zu allen Baustellen der Wienstadt pilgern, um dort unsere Verehrung zum Ausdruck zu bringen und als Zeichen des Glaubens nur noch mit Bauarbeite­rhelm schlafen. Im Vergleich dazu ist das Baggerlied in Endlosschl­eife schon fast eine Wohltat.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria