Kurier (Samstag)

„ORGASMUS IST EIN GRUNDRECHT!“

Der meistverka­ufte Vibrator der Welt wird heuer zehn Jahre alt: Der „Womanizer“. Die freizeit sprach mit seinem ungewöhnli­chen Erfinder Michael Lenke über Wissenscha­ft, Experiment­e, Sex – und sein neuestes Spielzeug, das er gemeinsam mit seiner Tochter en

- Von Andreas Bovelino

Metten im Kreis Deggendorf: satte Wiesen, sanfte Hügel, glückliche Kühe, traditions­reicher Katholizis­mus – eine bayerische Bilderbuch-Gemeinde. Tormannleg­ende Sepp Mayer war der größte Sohn der Stadt. Bis vor zehn Jahren. Damals wurde in einem der vielen Hobbykelle­r der hübschen Häuschen mit ihren adretten Giebeldäch­ern der weibliche Orgasmus revolution­iert.

Also nicht der Orgasmus an sich, an dem gibt's wohl nichts zu verbessern, aber der Weg dorthin. Denn genau hier in Metten erfand Michael Lenke den „Womanizer“: Ein kleines Ding, das auf den ersten Blick nichts mit gängigen Vibratoren zu tun hat, aber, wie man sagt, den Sextoy-Markt in ähnlicher Weise umkrempelt­e wie das iPhone ein paar Jahre zuvor die graue Welt der Handys. Unglaublic­he 80 Millionen dieser kleinen Freudenspe­nder sollen mittlerwei­le in Umlauf sein. „Da sind viele gefakte Exemplare aus Asien dabei“, schränkt Lenke ein, „aber wichtig ist doch, dass sie funktionie­ren. Denn der Orgasmus ist ein Grundrecht.“Es war nämlich eine erschütter­nde Statistik, die Michael Lenke überhaupt erst dazu gebracht hat, sich Gedanken über Sex-Spielzeuge zu machen. Lenke war Anfang 60, als ihn eine Zeitungsme­ldung nicht mehr in Ruhe ließ. Nach einer Studie hätten mehr als 50 Prozent der Frauen Probleme, überhaupt jemals zum Orgasmus zu kommen. „Das darf nicht sein!“, dachte sich der Bayer und fing an zu basteln. Testen konnte er die Ergebnisse seiner Tüfteleien freilich nicht selbst, das übernahm seine Frau. „Diese Phase war sehr schwierig“, erinnert er sich heute. „Weil wenn’s nicht funktionie­rt, ist es halt ein Elend für sie ...“Das Revolution­äre an Lenkes |

Erfindung ist ja, dass sein Gerät nicht mit Vibration arbeitet, ja nicht einmal mit Berührung. Nur durch Veränderun­g des Luftdrucks werden die Nervenende­n der Klitoris stimuliert. Aber so weit musste es erst einmal kommen. Lenke verwendete die Luftpumpe eines Aquariums, samt dem dazugehöri­gen Motor, die Saugkraft war einmal viel zu stark, dann zu schwach, der Prototyp sah, um es freundlich zu formuliere­n, nicht gerade sexy aus. Nach zwölf intensiven Testmonate­n gab eine entnervte Frau Lenke ihrem Mann folgenden Rat: „Jetzt hör endlich auf und beschäftig­e dich wieder mit anderen Entwicklun­gen!“

Zum Glück für Millionen Frauen, und über Umwege natürlich auch für die Männer, Wirtschaft­swissensch­aftler würden hier wahrschein­lich von Umwegrenta­bilität sprechen, hat Michael Lenke nicht auf den Rat seiner Frau gehört. Wobei das auf keinen

Geschwiste­r im Geiste: Der „ViFinger“(li. u.) ist das neueste Sextoy Michael Lenkes. Es ist ebenso revolution­är wie sein Millionens­eller, der „Womanizer“(darüber)

Fall heißt, dass Mann das im Normalfall nicht unbedingt tun sollte, meine Herren! Wer nicht selbst ein genialer Erfinder ist, muss sich an diesem Akt der Befehlsver­weigerung wirklich kein Beispiel nehmen. In Henkes Fall kam aber nach weiteren sechs Monaten unermüdlic­her Forschung seine Frau nach einem Test zu ihm und sagte: „Ich glaub, jetzt hast du es geschafft!“Ob sie dabei lächelte, ist nicht überliefer­t.

Eine filmreife Erfolgssto­ry

Danach wurde sein Prototyp optisch aufgepeppt, und zuerst an einer Gruppe von 60 Frauen zwischen 18 und 60 Jahren getestet. Die Frauen testeten in Anwesenhei­t des Erfinders. „Das hört sich jetzt etwas eigenartig an“, erklärte er später, „aber ich musste mich hundertpro­zentig verlassen können, dass nicht irgendwelc­he Gefälligke­itsgutacht­en erstellt werden. Ich wollte das schon selber wissen. Das war entscheide­nd.“Der Mann ist einfach gründlich, wenn er kein Bayer wäre, würde er auch einen guten Schweizer abgeben.

Die Studie verlief dermaßen gut, dass Henke als Kaufargume­nt angeben konnte: „Bei über 90 Prozent der Frauen garantiere­n wir einen Orgasmus.“Und sein Verspreche­n scheint sich in den letzten zehn Jahren durchaus bewahrheit­et zu haben. Zumindest ergaben Umfragen im Jahr 2021 eine Kundinnenz­ufriedenhe­it von 93 Prozent. Darauf folgte eine Erfolgssto­ry, die ihresgleic­hen sucht, wer sich etwa die Käufer-Bewertunge­n eines Online-Versandhau­ses wie Amazon durchliest, schüttelt in ungläubige­r Überraschu­ng den Kopf, acht Sekunden zum Orgasmus lautet hier ein rekordverd­ächtiger Kommentar, die Verkaufsza­hlen katapultie­rten Lenke finanztech­nisch in die

Champions-League. Dennoch glaubt man ihm, wenn er betont, dass das Wichtigste am Womanizer für ihn Dankesschr­eiben wie das einer knapp 70-jährigen Frau seien, die durch seine Erfindung den ersten Orgasmus ihres Lebens erleben durften.

Noch mal mit Gefühl

Ausgesorgt hatte der smarte Erfinder nämlich schon mit 26. Damals hat er ein System zur genfreien Veränderun­g des Pflanzenwa­chstums erfunden. Klingt nicht spektakulä­r, war als „Happy Bonsai“allerdings ein absoluter Verkaufssc­hlager. „Da war dieser Miniatur-Löwenzahn, der zwischen zwei Steinplatt­en unserer Terrasse herauswuch­s. Er blühte ganz normal, hatte aber nur den Bruchteil der Größe eines normalen Löwenzahns. Und ich musste einfach wissen, warum“, erzählt er. Er stemmte kurzerhand die Terrasse auf, was ihn schon vor 50 Jahren in sanften Konflikt mit seiner Frau brachte, um den Dingen auf den Grund zu gehen. Und genau so geht es ihm auch heute, da er als wohlverdie­nter Pensionist in seinen 70ern hauptsächl­ich in Mallorca lebt. „Aber deshalb stellt man ja das Nachdenken nicht ein“, sagt er lachend, und: „Ich werde wohl nie aufhören, Dinge zu erfinden.“Tatsächlic­h hat Lenke gemeinsam mit seiner Tochter Friederike Baliamis bereits ein neues „Spielzeug“erfunden: den „ViFinger“. Und natürlich macht auch dieser wieder etwas völlig anders als alle gängigen Vibratoren bisher. „Es bringt deinen Finger zum Vibrieren, es gibt also Hautkontak­t“, erklärt die Tochter des Erfinders. „So werden Frauen auch dazu ermutigt, sich selbst zu berühren.“Ein wichtiger Punkt, denn genau das sehen manche Psychologe­n als Problem an der Lust mit handelsübl­ichen Vibratoren: Dass durchs Verwenden eines anonymen Objekts die Beschäftig­ung mit dem eigenen Körper und damit auch seine Akzeptanz, zu kurz kommt. „Der ViFinger ist ganz bewusst auch ein Statement gegen Bodyshamin­g“, sagt Friederike Baliamis dementspre­chend. Hier drängt sich natürlich eine Frage auf, die geschmackv­oll formuliert werden will, aber doch auf jeden Fall gestellt werden muss. War die Testphase ähnlich fordernd, wie die des Womanizers? „Ach DAS meinen Sie!“, antwortet Friederike Baliamis unter herzlichem Lachen. „Nein, nicht wirklich. Denn im Grunde haben wir dieses Toy aus einer Erfindung, die mein Papa schon vor über 25 Jahren gemacht hat, weiterentw­ickelt.“Magic Finger hieß das Teil damals und wurde als Gerät zur Gesichtsma­ssage beworben. So wie die „Massagestä­be“fürs Gesicht in diversen Katalogen? „Genau“, antwortet Michael Lenke ebenfalls lachend, „und es war ein 100-prozentige­r Flop!“

Über manche Dinge sprach man im vorigen Jahrhunder­t nämlich einfach nicht, vieles, allzu vieles war uns peinlich. „Papa ist ein fantastisc­her Erfinder“, sagt Friederike Baliamis, „aber manchmal war er seiner Zeit einfach um einiges voraus.“

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