Bauern auf den Barrikaden
Bauer sucht Zukunft – in ganz Europa. Seit Wochen protestieren sie mit Traktoren gegen zu strenge Umweltregeln, zu viel Bürokratie und eine globale Lebensmittelproduktion, die ihnen das Leben erschwert
Von Antwerpen bis Athen, von Frankreich bis Polen: Quer durch Europa ziehen sich die Bilder von protestierenden Bauern, die mit ihren Traktoren Autobahnen blockieren, Stadtteile lahmlegen, Misthaufen auf die Straße kippen, Strohballen anzünden. Die Bauern sind in Aufruhr – und sie alle teilen dieselbe Sorge: um ihre Zukunft. Nur noch vier Prozent der Beschäftigten in der EU sind in der Landwirtschaft tätig. Und sie werden noch weniger: Denn ein Drittel der Bäuerinnen und Bauern ist über 65 Jahre alt. In einer wirtschaftlich prekären Lage wie jetzt übernehmen immer seltener Junge die Höfe ihrer Eltern.
Unter Polens protestierenden Landwirten sind es die konkurrenzlos billigen Getreideimporte aus der Ukraine, unter Frankreichs Bauern lodert die Wut über einen drohenden Mercosur-Handelsdeal: In jedem Land haben die Bauern mit ihren speziellen Problemen zu kämpfen, doch die generelle, systemische Krise der Landwirtschaft stellt sie alle vor dieselben Herausforderungen: Die Inflation trieb die Energiepreise hoch, die Verschuldung der kleinen und mittleren Betriebe stieg mit den höheren Kreditzinsen, der globale Lebensmittelhandel bringt billigere Konkurrenzprodukte auf den heimischen Markt – und zuletzt kam noch dazu: Die neuen, viel strengeren Umweltgesetze der EU, mit denen viele Landwirte nicht mehr mitkommen.
Ungeliebter „Green Deal“
Die Lawine der jüngsten Bauernproteste traten im Vorjahr die Landwirte in den Niederlanden los. Dafür war nicht Brüssel verantwortlich, sondern der vom niederländischen Höchstgericht verordnete Stoppruf: Die wegen der riesigen Zahl von Nutztieren hohe Bodenbelastung mit Nitrat und Ammoniak muss sofort reduziert werden. Die Regierung schlug vor: Der Viehbestand
müsse um ein Drittel reduziert werden. Ein Viertel aller Höfe befürchtete daraufhin ihr Aus – und Zigtausende Bauern zogen mit Traktoren und Mistgabeln in den Protest.
Das Beispiel machte Schule: Seither gingen Deutschlands Bauern wegen der Streichung ihrer Agrardieselsubventionen auf die Straße. Griechische Bauern beklagen zu wenig Hilfen nach Dürren und Überschwemmungen. Französische Bauern empören sich über die Vorgabe, weniger Pestizide einzusetzen.
Und nahezu überall richtet sich die Wut der Bauern gegen die Agrarimporte aus der Ukraine. Sie sehen sich in ihrer Existenz gefährdet, nachdem die EU Importzölle auf Einfuhren aus dem Agrarriesenland seit Kriegsausbruch (weitgehend) ausgesetzt hat. Das macht ukrainische Produkte billiger als die unter strengeren Auflagen produzierten Lebensmittel im EU-Binnenmarkt.
Die Genschere
Nächster Aufreger: Der Einsatz von neuer Gentechnik in der Landwirtschaft. Über die sogenannte Genschere (Crispr-Cas9) wird das EUParlament kommenden Dienstag entscheiden. Dagegen laufen wiederum deutsche Landwirte, allen voran die bayerischen, Sturm.
Zu all dem Ärger kommen aus der Sicht der Landwirte noch die neuen, strengeren EU-Regeln des „Green Deals“: Bei der Senkung der Treibhausgase sollen die Bauern eine erhebliche Rolle übernehmen: Weniger Pestizide, mehr Brachflächen, mehr Bio – alle Maßnahmen zusammen werden die Erträge der Landwirte verringern. In einem Ausmaß, so befürchten viele, das sie nicht überleben lässt.
Einziger Ausweg: Eine Neuorientierung der europäischen Landwirtschaftspolitik. Und mehr Förderungen. Zuschüsse, Prämien, Vergünstigungen, Ausgleichszahlungen – die Liste der Gelder für die Landwirtschaft ist lang. Knapp 54 Milliarden Euro überwies Brüssel im Vorjahr an Europas landwirtschaftliche Betriebe. Das ist zwar fast ein Drittel des EU-Budgets, reicht aber nicht. Denn während riesige Agrarbetriebe nach wie vor (dank vieler Ausnahmeregelungen) den Löwenanteil der Förderungen abgrasen, kommen kleinere und mittlere Höfe mit den Zuwendungen aus Brüssel kaum über die Runden.
„Ich bin empfänglich für die Botschaft, dass die Landwirte über den Verwaltungsaufwand besorgt sind“Ursula von der Leyen Chefin der EU-Kommission, Brüssel