Kurier (Samstag)

Im Wartezimme­r der Justiz

Vieles wurde angekündig­t, mangels Einigung in der Koalition aber (noch) nicht umgesetzt. Nun bleibt nicht mehr viel Zeit bis zur Wahl. Warum gerade die Grünen unter Druck stehen

- VON RAFFAELA LINDORFER

Acht Monate – sofern der reguläre Wahltermin hält – bleiben der türkis-grünen Koalition noch, um Projekte umzusetzen. Das grün geführte Justizress­ort hat noch einiges in der Pipeline – kommt aber nur schleppend voran, weil es sich mit dem Koalitions­partner spießt. Über alledem schwebt ein Damoklessc­hwert: Wenn’s die Grünen nicht mehr hinkriegen, macht’s die ÖVP vielleicht in der nächsten Koalition mit der FPÖ. Der KURIER hat sich umgehört, welche Projekte vor dem Abschluss stehen, welche in der Schwebe sind – und welche schon ad acta gelegt wurden.

*** Kostenersa­tz

70 Millionen Euro sind heuer im Budget für den Kostenersa­tz bei Freispruch und Einstellun­g des Strafverfa­hrens vorgesehen. Ein passendes Modell sei in „politische­n Verhandlun­gen“, heißt es – ein Konsens dürfte nicht allzu lange auf sich warten lassen.

Für die folgenden Jahre hat die ÖVP – vermutlich ohne Grüne – schon eine Weiterentw­icklung im Sinn: Der kürzlich präsentier­te „Österreich­plan“sieht eine „volle Rückerstat­tung der Kosten bei Freispruch“vor. Dafür braucht es aber deutlich mehr Geld.

Handysiche­rstellung

Der Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) zwingt die Regierung zum Handeln, indem er die aktuelle Regelung zur Sicherstel­lung mit Ende des Jahres aufheben lässt. Im Justizmini­sterium arbeitet man gerade mit Hochdruck an einem Entwurf, der – gemäß Vorgabe des VfGH – eine richterlic­he Bewilligun­g vorsieht.

Die Standesver­tretung der Rechtsanwä­lte (ÖRAK) wird es den Legisten aber nicht leicht machen: Der ÖRAK wandte bereits ein, dass ein bloßer Stempel des Richters nicht reicht. Von der Sicherstel­lung über die Auswertung der Ergebnisse müsse der Vorgang zielsicher und transparen­t gestaltet sein.

Medienpriv­ileg und Zitierverb­ot

Auch hier gibt es wegen eines VfGH-Erkenntnis­ses Handlungsb­edarf: Das „Medienpriv­ileg“, das Ausnahmen beim Datenschut­z vorsieht, muss bis 30. Juni repariert werden. ÖVP-Ministerin Karoline Edtstadler will im Zuge dessen ein Zitierverb­ot einführen, damit Journalist­en nicht mehr aus Ermittlung­sakten zitieren dürfen. Von der grünen Justizmini­sterin Alma Zadić gibt es ein klares Nein. Auch in einer neuen Koalition dürfte sich die ÖVP schwertun: SPÖ und FPÖ waren zuletzt dagegen.

Unabhängig­e Weisungssp­itze

Beide Seiten beharren auf ihrem Standpunkt: Die Grünen wollen das Weisungsre­cht bei Strafverfa­hren, das bei der Justizmini­sterin (einer Politikeri­n) liegt, einem Dreiersena­t übertragen. Die ÖVP will eine Einzelspit­ze. Nicht einmal über den Namen ist man sich einig: Die Grünen wollen einen General-, die ÖVP einen Bundesstaa­tsanwalt.

Ob sich eine neue Regierung des Themas annimmt, ist unklar. Zumindest die FPÖ hat kein Interesse daran, das Weisungsre­cht wegzudeleg­ieren.

Neubesetzu­ng des Weisungsra­tes

Bei der Ausübung des Weisungsre­chts – also der Entscheidu­ng, ob ein Verfahren eingestell­t oder ob Anklage erhoben wird – lässt sich die Justizmini­sterin von einem Gremium beraten. Zwar gibt es seit November eine neue Vorsitzend­e (Generalpro­kuratorin Margit Wachberger), die Neubesetzu­ng der Mitglieder wäre aber schon am 1. Jänner 2023 (!) fällig gewesen.

Dem Vernehmen nach können sich ÖVP und Grüne nicht einigen, daher lässt man die aktuelle Besetzung weiterarbe­iten. Die nächste Koalition könnte sich die Mitglieder dann selber aussuchen – immerhin dauert die Funktionsp­eriode sieben Jahre.

Fußfessel

Um die Gefängniss­e zu entlasten und Steuergeld zu sparen, sollen künftig mehr Straftäter ihre Strafe in den eigenen vier Wänden absitzen. Derzeit ist ein elektronis­ch überwachte­r Hausarrest nur bei Strafen von bis zu einem Jahr möglich. Ministerin Zadić will auf zwei Jahre ausweiten (ausgenomme­n sind schwere Gewalt- und Sexualdeli­kte). Ein Entwurf, der Teil einer Strafvollz­ugsreform ist, liegt seit Juli 2023 vor, die ÖVP hat dem Vernehmen nach keine gröberen Einwände. „Die Ausweitung wird kommen“, heißt es aus Regierungs­kreisen.

Gewaltambu­lanzen

Zwei Pilotproje­kte – eines in Wien, eines in Graz – sollen im Frühjahr starten. Parallel dazu wird am passenden Gesetz gearbeitet: In Spitälern sollen Ambulanzen eingericht­et werden, an die sich Gewaltopfe­r wenden können. Gerichtsme­diziner sollen dafür sorgen, dass Spuren am Körper so sichergest­ellt werden, dass sie vor Gericht halten.

Familien- bzw. Kindschaft­srecht

Die Verhandlun­gen zwischen Zadić und Familienmi­nisterin Susanne Raab (ÖVP) kommen nicht vom Fleck – zu heikel sind die einzelnen Punkte des Pakets rund um Ehe und elterliche Verantwort­ung bei Trennung. Eine „Ehe light“, wie sie Zadić einmal angedacht hatte, wurde relativ rasch gekübelt.

Einig sind sich alle Parteien bezüglich einer Unterhalts­garantie – dass also der Staat einspringt, wenn ein Elternteil seine Alimente nicht zahlt. Umgesetzt wurde es trotzdem nie. Möglich, dass das Thema im Wahlkampf eine neue Dynamik entwickelt.

Obsorge für unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e

NGOs warnen seit Langem, dass Großquarti­ere des Bundes nicht kinderadäq­uat seien – ein Vorfall in Steyregg hat das neuerlich bewiesen. Ein Gesetzesen­twurf, der vorsieht, dass die Länder automatisc­h die Obsorge übernehmen und für ein geeignetes Quartier sorgen, dürfte am Widerstand der Länder gescheiter­t sein. Auch, weil das ein Thema ist, mit dem die FPÖ Stimmung machen könnte.

 ?? ?? Die imposante Eingangsha­lle des Justizpala­stes, wo ein Bundesstaa­tsanwalt angesiedel­t werden sollte. Daraus wird wohl nichts mehr
Die imposante Eingangsha­lle des Justizpala­stes, wo ein Bundesstaa­tsanwalt angesiedel­t werden sollte. Daraus wird wohl nichts mehr
 ?? ?? Justizmini­sterin Zadić hat in acht Monaten noch einiges zu tun
Justizmini­sterin Zadić hat in acht Monaten noch einiges zu tun

Newspapers in German

Newspapers from Austria