Warum Hamilton nicht widerstehen konnte
Der Wechsel zur Scuderia ist schon jetzt die Sensation des Jahres. Warum verlässt Hamilton das gemachte Nest? Weshalb übt Ferrari eine solche Faszination aus? Und wie kann das Team das finanzieren?
Erst im August 2023 hat Lewis Hamilton seinen Vertrag bei Mercedes verlängert. Und es ist auch erst ein paar Monate her, seit sich der erfolgreichste Formel-1-Fahrer der Geschichte vor die versammelte Mannschaft stellte und erklärte, dass seine Beziehung mit Mercedes wie eine Partnerschaft fürs Leben sei.
Seit Donnerstagnachmittag weiß man: „Lebenslang“ist in der Formel 1 relativ.
Total überrascht
Mercedes wurde von Hamiltons Abschied nach der Saison 2024 eiskalt erwischt. Dass der siebenfache Weltmeister seine Karriere einmal bei Ferrari ausklingen lassen könnte, stand immer schon im Raum. Deshalb ließ er sich auch eine Ausstiegsklausel in seinen Vertrag schreiben. Dass der Brite diese Option aber schon vor Saisonbeginn zieht, überraschte sogar Teamchef Toto Wolff, seinen Vertrauten, mit dem ihn seit vielen Jahren ein fast freundschaftliches Verhältnis verbindet. Der Wiener konnte nicht einmal persönlich in England sein, um dem Team Hamiltons Entscheidung mitzuteilen. Er ließ sich per Videokonferenz zuschalten.
Für Ferrari-Boss John Elkann ist Hamiltons Unterschrift hingegen der erfolgreiche Abschluss eines jahrelangen Projekts: Der erfolgreichste Fahrer der Welt im legendärsten Auto.
Hamilton hat bei Ferrari viel zu verlieren. Die vergangene Saison hat die Scuderia die Teamwertung auf Rang drei abgeschlossen, weit hinter Red Bull und knapp hinter Mercedes. Sein Teamkollege wird Charles Leclerc sein. Der kennt das Auto und das Team – und er ist schnell. Sollte Hamilton, der dann immerhin schon 40 Jahre alt sein wird, am Monegassen scheitern, würde seiner Karriere ein Makel anhaften.
Gewinnt Hamilton allerdings im Ferrari seinen achten WM-Titel, den ersten für Ferrari seit Kimi Räikkönen 2007, wäre dieser Erfolg in der Geschichte der Formel 1 einzigartig.
Mythos Ferrari
Es gibt Autohersteller, die eine längere Historie haben, die luxuriösere oder noch schnellere Fahrzeuge herstellen. Doch keine andere Firma übt eine derartige Faszination aus wie Ferrari. Bei neidvollen Passanten, Hobby-Rennfahrern oder eben bei einem siebenfachen Weltmeister.
„Jeder träumt davon, einen Ferrari zu fahren“, sagte einst Firmengründer Enzo Ferrari. „Das war von Anfang an meine Absicht.“Die Markenstrategie des Commendatore war schnell festgelegt: Das Auto ist der Star, die Fahrer sind austauschbar, sobald sie mit der roten Göttin nicht mehr schnell genug unterwegs sind. „Kein Pilot ist größer als die Marke“, ließ Enzo Ferrari seine Zuhörer immer wieder wissen.
Ferrari stieg im Gründungsjahr der Formel 1 1950 in die Rennserie ein – und danach nie mehr aus. Schon früh erkannte Enzo Ferrari die Werbekraft der weltumspannenden Formel 1 und investierte all seine Kraft in sie. Ferrari wurde zum Mythos mit vielen Erfolgen, Emotionen und großen Gesten. Im Kino im Zentrum von Maranello wird jedes Formel-1Rennen live gezeigt. Bei Erfolgen läuten die Kirchenglocken, bei Niederlagen soll es aber auch schon vorgekommen sein, dass die Mechaniker in Mönchskutten verkleidet zur Buße durch den Ort ziehen mussten.
Die großen Erfolge ließen eine Zeit lang auf sich warten. 1975 holte Niki Lauda seine erste WM für die Scuderia, in den Jahren 2000 bis 2004 erlebte Ferrari mit fünf Titeln in Serie den Höhepunkt, geholt von Michael Schumacher, jenem Ausnahmepiloten, der mit insgesamt sieben WM-Titeln gleichauf mit Hamilton an der Spitze der Wertung liegt. Hamilton würde sich unsterblich machen in der Formel 1 und vor allem bei Ferrari, sollte er tatsächlich den Rekordtitel holen.
Rekordverdächtig soll jedenfalls sein Gehalt sein. Wenn die Gerüchte stimmen, soll Hamilton bei Ferrari astronomische 80 Millionen Euro pro Jahr verdienen und damit auch Max Verstappen überflügeln. Diesen Lohn wird man sich bei Ferrari leisten können. Nach der Verpflichtung von Hamilton stieg der Aktienkurs von Ferrari am Donnerstag an der New Yorker Wall Street um mehr als zwölf Prozent auf einen neuen Höchstwert.