Überlisten Sie sich doch selbst
Man muss etwas Wichtiges erledigen, würde eigentlich lieber fernsehen und räumt stattdessen den Schreibtisch auf. Wie uns gelingt, endlich das zu tun, was wir uns vornehmen, verrät Spieltheoretiker Christian Rieck
„Ich habe eine schlechte Nachricht für Sie. Wir alle sind Spieler mit gespaltener Persönlichkeit“, eröffnet Christian Rieck das Gespräch. Rieck ist deutscher Wirtschaftsprofessor, kann mittels Spieltheorie menschliches Verhalten vorhersehen und begeistert damit 400.000 Follower auf Youtube. In seinem neuen Buch „Anleitung zur Selbstüberlistung“erklärt er, warum es nichts mit Willensstärke zu tun hat, wenn wir uns Dinge vornehmen und dann nicht durchziehen.
KURIER: Unsere Persönlichkeit ist zerrissen, schreiben Sie. In uns sind viele kleine Ichs, die alle etwas anderes wollen. Der eine will faulenzen, der andere produktiv sein. Wer setzt sich durch?
Christian Rieck: Diese kleinen Ichs spielen nicht gegeneinander, sondern sind nacheinander dran. Sie verwalten eine Zeiteinheit, nur ist es häufig so, dass der Spieler, der zuerst dran ist, mehr Zeit für sich einheimst. Die Kunst besteht darin, Rahmenbedingungen so zu setzen, bei denen dieser Effekt möglichst klein wird. Denn ganz weg kriegt man ihn nicht.
Und wie funktioniert das?
Denken wir an das Joggen vor der Arbeit. Muss man seine Sachen erst zusammensuchen, sorgen die Rahmenbedingungen dafür, dass dieses Laufengehen unglaublich anstrengend wird. Ändert man sie minimal, legt die Kleidung am Vortag zurecht, lässt sich eine hohe Wirkung erzielen.
Reicht keine Willensstärke?
Wenn Sie immer das machen wollen, was Sie landläufig als vernünftig bezeichnen, werden Sie fulminant scheitern. Sie arbeiten gegen sich, nehmen sich etwas vor, von dem sie wissen, dass sie es eigentlich nicht tun wollen. Und werden es auch nicht machen.
Wie kommt hier die Spieltheorie zum Einsatz?
Computerspiele oder Sportarten sind so konstruiert, dass sie eine Sache verkomplizieren. Und weil sie schwieriger ist, fangen wir an, darüber nachzudenken, wie wir etwas machen. Und nicht ob wir etwas machen. Das ist eine Methode, die wahnsinnig gut funktioniert.
Hätten Sie ein Beispiel?
Nehmen wir an, Sie trinken einen Milkshake und wollen nach der Hälfte aufhören. Das wird meistens nicht klappen. Außer Sie erzählen sich die Geschichte, dass man jetzt möglichst exakt die Hälfte treffen will. Das sorgt dafür, dass wir nicht austrinken, sondern eine Linie erreichen wollen. Man hat sich sozusagen umprogrammiert.
Ein bekanntes Szenario: Man möchte eine Aufgabe erledigen und räumt stattdessen den Geschirrspüler aus. Hat das eine Logik?
Das liegt in der Natur der Sache. Das sind Tätigkeiten, die nicht übermäßig belastend sind, aber auch nicht völlig trivial. Daher ist das ein sehr angenehmer Zustand, bei dem die kleinen Ichs sehr gleichmäßig bespielt werden. Die wichtigen Dinge sind meist anderer Natur. Sie sind oft große Projekte, die aus vielen Teilschritten bestehen.
Wie geht man damit um?
Sieht man nur das Gesamtprojekt, bleibt die Spülmaschine attraktiver. Deshalb muss man die einzelnen Schritte erkennen, um ein Projekt überhaupt in Gang zu setzen. Das ist auch bei Computerspielen so. Man hat riesengroße Missionen, die in ganz einfache Dinge runtergebrochen sind und dabei systematisch schwieriger werden. Sie bewegen sich immer zwischen Anforderung und Leichtigkeit, sodass es gerade noch Spaß macht.
Hat man erst mit der Arbeit losgelegt, schleicht sich gern der Zwischendurch-Kaffee ein. Ist das ein Problem?
Wenn Sie bei einem Flipper die Kugel hochschießen, beginnt das Spiel. Da käme kein Mensch auf den Gedanken, jetzt einen Schluck Kaffee zu trinken. So muss man das auch sehen. Es ist wichtig, eine Phase zu haben, in der man hochfokussiert nur eine Sache macht. Aber es braucht auch ein festgelegtes Ende, weil man sonst denkt: Der kurze Kaffee schadet ja nicht.
Wie setze ich das fixe Ende am besten?
Ich wäre vorsichtig, es an inhaltlichen Sachen festzumachen. Ich bin ein Freund von zeitlicher Begrenzung.
Wenn ich nun etwas wirklich Wichtiges erledigen möchte, aber eigentlich noch drei Tage Zeit hätte. Wie gelingt es?
Runterbrechen, Dringlichkeit erzeugen und dann abarbeiten. Weiß man, dass ohnehin noch drei Tage Zeit sind, stiehlt man sich selbst die Deadline. Also würde ich es im Kopf so umformulieren, als würde man die ganze vorhandene Zeitspanne benötigen. Im Homeoffice lässt sich die Schwelle noch einfacher senken: Indem man noch vor dem Zähneputzen schon die erste Aufgabe erledigt. Das ist für viele überraschend. Dass man einen Großteil der Tätigkeiten, die man für den Tag vorhat, schon vor dem Frühstück hinkriegen könnte.
Bleiben oder gehen? Zufrieden, aber aufmerksam sind die Österreicher in ihren Jobs. Denn obwohl 85 Prozent ihre aktuelle Tätigkeit schätzen, sind dennoch 43 Prozent bereit, ihren Job zu wechseln. Das erhebt eine neue Studie von Xing. Der Wert scheint hoch, im Langzeitvergleich ist er aber recht passabel. Schließlich war 2020 und 2023 über die Hälfte der Befragten bereit zu kündigen. Vor der Pandemie lag die Jobwechselbereitschaft bei 47 Prozent. Angst um den Arbeitsplatz haben hierzulande übrigens die wenigsten: Nur 13 Prozent machen sich Sorgen. Jüngere eher als Ältere.