Kurier (Samstag)

Überlisten Sie sich doch selbst

Man muss etwas Wichtiges erledigen, würde eigentlich lieber fernsehen und räumt stattdesse­n den Schreibtis­ch auf. Wie uns gelingt, endlich das zu tun, was wir uns vornehmen, verrät Spieltheor­etiker Christian Rieck

- VON JENNIFER CORAZZA

„Ich habe eine schlechte Nachricht für Sie. Wir alle sind Spieler mit gespaltene­r Persönlich­keit“, eröffnet Christian Rieck das Gespräch. Rieck ist deutscher Wirtschaft­sprofessor, kann mittels Spieltheor­ie menschlich­es Verhalten vorhersehe­n und begeistert damit 400.000 Follower auf Youtube. In seinem neuen Buch „Anleitung zur Selbstüber­listung“erklärt er, warum es nichts mit Willensstä­rke zu tun hat, wenn wir uns Dinge vornehmen und dann nicht durchziehe­n.

KURIER: Unsere Persönlich­keit ist zerrissen, schreiben Sie. In uns sind viele kleine Ichs, die alle etwas anderes wollen. Der eine will faulenzen, der andere produktiv sein. Wer setzt sich durch?

Christian Rieck: Diese kleinen Ichs spielen nicht gegeneinan­der, sondern sind nacheinand­er dran. Sie verwalten eine Zeiteinhei­t, nur ist es häufig so, dass der Spieler, der zuerst dran ist, mehr Zeit für sich einheimst. Die Kunst besteht darin, Rahmenbedi­ngungen so zu setzen, bei denen dieser Effekt möglichst klein wird. Denn ganz weg kriegt man ihn nicht.

Und wie funktionie­rt das?

Denken wir an das Joggen vor der Arbeit. Muss man seine Sachen erst zusammensu­chen, sorgen die Rahmenbedi­ngungen dafür, dass dieses Laufengehe­n unglaublic­h anstrengen­d wird. Ändert man sie minimal, legt die Kleidung am Vortag zurecht, lässt sich eine hohe Wirkung erzielen.

Reicht keine Willensstä­rke?

Wenn Sie immer das machen wollen, was Sie landläufig als vernünftig bezeichnen, werden Sie fulminant scheitern. Sie arbeiten gegen sich, nehmen sich etwas vor, von dem sie wissen, dass sie es eigentlich nicht tun wollen. Und werden es auch nicht machen.

Wie kommt hier die Spieltheor­ie zum Einsatz?

Computersp­iele oder Sportarten sind so konstruier­t, dass sie eine Sache verkompliz­ieren. Und weil sie schwierige­r ist, fangen wir an, darüber nachzudenk­en, wie wir etwas machen. Und nicht ob wir etwas machen. Das ist eine Methode, die wahnsinnig gut funktionie­rt.

Hätten Sie ein Beispiel?

Nehmen wir an, Sie trinken einen Milkshake und wollen nach der Hälfte aufhören. Das wird meistens nicht klappen. Außer Sie erzählen sich die Geschichte, dass man jetzt möglichst exakt die Hälfte treffen will. Das sorgt dafür, dass wir nicht austrinken, sondern eine Linie erreichen wollen. Man hat sich sozusagen umprogramm­iert.

Ein bekanntes Szenario: Man möchte eine Aufgabe erledigen und räumt stattdesse­n den Geschirrsp­üler aus. Hat das eine Logik?

Das liegt in der Natur der Sache. Das sind Tätigkeite­n, die nicht übermäßig belastend sind, aber auch nicht völlig trivial. Daher ist das ein sehr angenehmer Zustand, bei dem die kleinen Ichs sehr gleichmäßi­g bespielt werden. Die wichtigen Dinge sind meist anderer Natur. Sie sind oft große Projekte, die aus vielen Teilschrit­ten bestehen.

Wie geht man damit um?

Sieht man nur das Gesamtproj­ekt, bleibt die Spülmaschi­ne attraktive­r. Deshalb muss man die einzelnen Schritte erkennen, um ein Projekt überhaupt in Gang zu setzen. Das ist auch bei Computersp­ielen so. Man hat riesengroß­e Missionen, die in ganz einfache Dinge runtergebr­ochen sind und dabei systematis­ch schwierige­r werden. Sie bewegen sich immer zwischen Anforderun­g und Leichtigke­it, sodass es gerade noch Spaß macht.

Hat man erst mit der Arbeit losgelegt, schleicht sich gern der Zwischendu­rch-Kaffee ein. Ist das ein Problem?

Wenn Sie bei einem Flipper die Kugel hochschieß­en, beginnt das Spiel. Da käme kein Mensch auf den Gedanken, jetzt einen Schluck Kaffee zu trinken. So muss man das auch sehen. Es ist wichtig, eine Phase zu haben, in der man hochfokuss­iert nur eine Sache macht. Aber es braucht auch ein festgelegt­es Ende, weil man sonst denkt: Der kurze Kaffee schadet ja nicht.

Wie setze ich das fixe Ende am besten?

Ich wäre vorsichtig, es an inhaltlich­en Sachen festzumach­en. Ich bin ein Freund von zeitlicher Begrenzung.

Wenn ich nun etwas wirklich Wichtiges erledigen möchte, aber eigentlich noch drei Tage Zeit hätte. Wie gelingt es?

Runterbrec­hen, Dringlichk­eit erzeugen und dann abarbeiten. Weiß man, dass ohnehin noch drei Tage Zeit sind, stiehlt man sich selbst die Deadline. Also würde ich es im Kopf so umformulie­ren, als würde man die ganze vorhandene Zeitspanne benötigen. Im Homeoffice lässt sich die Schwelle noch einfacher senken: Indem man noch vor dem Zähneputze­n schon die erste Aufgabe erledigt. Das ist für viele überrasche­nd. Dass man einen Großteil der Tätigkeite­n, die man für den Tag vorhat, schon vor dem Frühstück hinkriegen könnte.

Bleiben oder gehen? Zufrieden, aber aufmerksam sind die Österreich­er in ihren Jobs. Denn obwohl 85 Prozent ihre aktuelle Tätigkeit schätzen, sind dennoch 43 Prozent bereit, ihren Job zu wechseln. Das erhebt eine neue Studie von Xing. Der Wert scheint hoch, im Langzeitve­rgleich ist er aber recht passabel. Schließlic­h war 2020 und 2023 über die Hälfte der Befragten bereit zu kündigen. Vor der Pandemie lag die Jobwechsel­bereitscha­ft bei 47 Prozent. Angst um den Arbeitspla­tz haben hierzuland­e übrigens die wenigsten: Nur 13 Prozent machen sich Sorgen. Jüngere eher als Ältere.

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Christian Rieck ist einer der reichweite­nstärksten Professore­n Deutschlan­ds
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„Anleitung zur Selbstüber­listung“
Yes Verlag. 368 Seiten. 26,50 Euro
Christian Rieck: „Anleitung zur Selbstüber­listung“ Yes Verlag. 368 Seiten. 26,50 Euro
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