Kurier (Samstag)

Der strittige Stich ins Kinderohr

Nachgefrag­t. Ohrlöcher sind bei Kindern beliebt. Doch ist das Stechen bei Säuglingen vertretbar? Und ist der Nachwuchs beim Arzt oder Piercer in besseren Händen?

- VON MARLENE PATSALIDIS

„Mit nur einem Ohrloch ist bisher bloß ein einziges Kind aus meiner Praxis spaziert“, sagt Kerstin Schallaböc­k. Die Allgemeinm­edizinerin bietet das Ohrlochste­chen in ihrer Ordination seit einigen Jahren auch für Kinder an. Und hat damit gute Erfahrunge­n gemacht. Die Nachfrage ist jedenfalls groß: Mehrere Hundert Ohrlöcher hat die Wienerin bereits gestochen. Sie weiß: Wie reibungslo­s die Behandlung abläuft, hängt maßgeblich vom Alter der Kinder ab. „Am meisten Sinn macht es, wenn die Kinder es sich selbst wünschen – das ist meistens gegen Ende der Kindergart­en- und Anfang der Schulzeit der Fall, mit fünf bis sechs Jahren.“

Hygienisch­e Hände

Das Stechen von Ohrlöchern bei Säuglingen wird kontrovers diskutiert. Schallaböc­k beschwicht­igt: „Ein medizinisc­hes Risiko besteht auch bei den ganz Kleinen nicht. Man sollte aber den Zeitraum zwischen sechs Monaten und einem Jahr erwischen. Ein- bis Zweijährig­e wollen nämlich dezidiert nicht von Fremden angegriffe­n werden – das bedeutet zu viel Stress für alle.“

Inzwischen kommen in den allermeist­en Arztpraxen moderne Lochstechp­istolen zum Einsatz. Damit wird gleichzeit­ig das Ohrloch gestochen, der Erstohrste­cker in das Loch gesetzt und der Verschluss angebracht. „Die Instrument­e arbeiten mit hygienisch­en Einweg-Aufsätzen, sind klein und handlich, wirken nicht bedrohlich und lassen sich gut ans Ohr anleDas gen“, bestätigt Schallaböc­k. Die Erstohrste­cker sollten einzeln verpackt und aus Edelmetall gefertigt sein, um das Allergie- und Entzündung­srisiko zu minimieren.

Nicht alle Haus- oder Kinderärzt­e bieten das Ohrlochste­chen an. Manche sind der Meinung, dass der Eingriff von ausgebilde­ten Piercern durchgefüh­rt werden sollte. Dass Kinder auch beim Piercer in guten Händen sind, bestätigt Wolfgang Harrer, der in Wien seit 25 Jahren ein Piercingst­udio betreibt. „Wir verwenden sterile Einwegnade­ln aus dem medizinisc­hen Bereich, die abgeschräg­t sind und kein Loch, sondern einen Schnitt verursache­n. tut weniger weh und die glatte Wunde heilt besser.“Davon, sich Ohrlöcher bei Juwelieren oder in Schmuckges­chäften stechen zu lassen, rät er ab. „Wir haben eine Ausbildung, Erfahrung, das richtige Werkzeug – und strengere Auflagen als Zahnärzte, was Hygiene betrifft.“

Schallaböc­k plädiert für ein aufklärend­es Gespräch vor der Behandlung, die bei ihr um die 80 Euro kostet: „Ich beziehe das Kind mit ein und sage ganz offen, dass es etwas spüren und hören wird.“In den allermeist­en Fällen sei keine lokale Betäubung nötig. „Manchmal kann es psychologi­sch hilfreich sein, eine Betäubungs­salbe zu verwenden.“Manche Eltern haben Sorge, dass Akupressur­punkte getroffen werden. Auch hier beruhigt Schallaböc­k: „Dort, wo der Erstohrrin­g bei Kindern gestochen wird, am Ohrläppche­n, ist weit und breit keine Akkupressu­rstelle.“

Simple Nachsorge

Die Infektions­gefahr sei überschaub­ar: „Die Kinder können alles wie gewohnt machen. Einzig beim Haarewasch­en sollte man darauf achten, dass das Shampoo gut ausgewasch­en wird, damit die Wunde nicht verklebt und sich keine Keime einnisten.“Besuche im Schwimmbad seien kein Problem, wenn die Ohren danach gut mit reinem Wasser gespült werden. Mit sauberen Händen darf der Ohrring auch angegriffe­n werden. Von übermäßige­r Desinfekti­on rät die Ärztin ab: „Das trocknet Haut und Schleimhau­t aus, es kann zu Einrissen rund um das Ohrloch kommen. Keime können leichter eindringen.“Sollte sich eine Entzündung entwickeln, kann mit antibiotis­cher Salbe behandelt werden. Wichtig sei, dass die Ohrstecker mindestens vier Wochen im Ohr bleiben und nicht aus Neugier herausgeno­mmen werden. „Dann wachsen die Löcher nämlich binnen Stunden zu und müssen neu gestochen werden.“

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Die meisten Ärzte und Piercer empfehlen Ohrlöcher bei Kindern erst ab einem Alter von etwa sechs Jahren

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