Kurier (Samstag)

„Wir haben dich gemacht, wir besitzen dich“

Gespräch. James Arthur, britischer Singer-Songwriter und „The X Factor“-Gewinner von 2012, spricht über die Eifersucht seiner Castingsho­w-Fans, seine psychische­n Probleme und sein Album „Bitter Sweet Love“

- VON BRIGITTE SCHOKARTH

„Es kommt viel Hass auf dich zu, wenn du erfolgreic­h bist. Über die sozialen Medien konnte mir jeder, der mich nicht mag, das sagen. Jede Unsicherhe­it, die du hast, alles, was du an dir selbst nicht magst, findet dort sein Echo, kommt vielfach verstärkt zu dir zurück und wird unheimlich groß und real.“

James Arthur erinnert sich im KURIER-Interview an die Zeit, als er 2012 die britische Castingsho­w „The X Factor“gewann und in der Folge mit Hits wie „Impossible“und „Say You Won’t Let Go“Welthits hatte. Mit dem Ruhm und der gleichzeit­igen Anfeindung, die damit einherging, kam er aber nicht zurecht und verfiel in Depression­en. In „Free Falling“, einem Song seines neuen Albums „Bitter Sweet Love“, spielt Arthur darauf an, beschreibt jemanden, der sich missachtet, wertlos und deswegen verloren fühlt.

„Free Falling“eine traurige Klavierbal­lade, die richtungsw­eisend für das Album ist. Denn nach den elektronis­chen Klängen des Vorgängers kehrt Arthur mit „Bitter Sweet Love“zu seinem Singer-Songwriter-Sounds zurück, die mehr in der IndieSzene als im Charts-Pop verwurzelt­en sind.

Mehr als eine Dekade nach Karrierest­art, sagt Arthur, habe er gelernt, mit dem Erfolg umzugehen und Depression­en und Panik-Attacken im Griff. Auch im Privatlebe­n als Vater einer Tochter konnte er sich stabilisie­ren.

Rückschau

„Die Songs von ,Bitter Sweet Love‘ sind alle eine Rückschau. Ich hatte das Gefühl, über alle Facetten der Liebe schreiben zu wollen, egal ob sie glücklich ist, es um Trennungen oder toxische Beziehunge­n geht. Ich kann mich da, auch wenn es mir jetzt gut geht, perfekt einfühlen – weil ich meine Dosis an Herzschmer­z hinter mich gebracht habe, aber auch weil meine Kindheit schwierig war.“

Arthurs Eltern trennten sich, als er zwei war. Mit dem neuen Partner der Mutter lebte er für vier Jahre in Bahrain, kam mit 13 zurück nach England, musste aber für einige Zeit zu Pflegeelte­rn, weil die dann alleinzieh­ende Mutter Probleme hatte, für vier Kinder zu sorgen. „Ich hatte dadurch große Probleme, Leuten zu vertrauen. Und ich war sehr wütend. Aber da kam die Musik ins Spiel, die war mein Zufluchtso­rt. Ich habe viel Emo-Rock und Nirvana gehört, um mich abzureagie­ren. Kurt Cobain war mein Held.“

Teenagerpr­obleme

Auf „Bitter Sweet Love“erinnert der Song „New Generation“an die Liebe zu rockigen Sounds. Der ist der Einzige, der ein wenig von persönlich­en Erinnerung­en an verlorene Lieben und andere Teenagerpr­oblemen weg und ins Hier und Jetzt geht.

„Mit dem Song wollte ich ein bisschen rebelliere­n“, sagt Arthur. „Dagegen, dass die Welt, die heute so chaotisch und unsicher ist, entweder versucht, uns abzulenken oder uns zu spalten. Du musst eine Seite wählen, links oder rechts sein. Ich sage in dem Song, dass ich hoffe, dass die Jungen darauf drängen, zu Liebe und Geschlosse­nheit zurückzuke­hren.“

Die Gitarrenba­llade „Homecoming“ist eine Ode an Arthurs Heimatstad­t Middlesbro­ugh. „Das ist ein hartes Pflaster. Dort gibt es die größte Arbeitslos­enrate in ganz England, die Leute sind sehr rau im Umgang miteinande­r. Sie haben materiell nicht viel, aber die wunderschö­ne Einstellun­g, das Beste aus der Situation zu machen. Das hat meinen Willen, es allen zu zeigen, die Zweifel an mir hatten, geprägt. Und dem verdanke ich meinen Erfolg.“

Den, sagt er, verdanke er auch der Mutter, der er die Probleme, die er mit ihr als Teenager hatte, längst verziehen hat. „Sie hat mich bestochen und gab mir Geld, dass ich mich bei ,The X Factor‘ anmelde. Ich wollte zuerst nicht, weil das musikalisc­h nicht meine Welt war. Aber da war ich schon 23, war in vielen Bands gewesen und hatte nur Rückschläg­e erlebt. Ich sah die Castingsho­w als meine letzte Chance.“

Die Zeit bei „The X Factor“beschreibt er als „extrem intensiv und schwer zu steuern“. Aber: „Es ist verständli­ch, dass dabei auch das Drama, die Konkurrenz und die persönlich­en Hintergrün­de im Fokus sind. Das ist eine Samstagabe­nd-Prime-TimeShow, da kannst du nicht nur Leute, die gern Musik hören, als Zielpublik­um haben. Zum Glück war ich in einer Zeit dort, in der das Publikum wirklich noch sehen wollte, wie ein Star aufgebaut wird.“

Karrierekn­ick

Die Nachteile davon bekam Arthur ein paar Jahre später zu spüren, als der Backlash kam und er seine Karriere 2018 beenden wollte.

„Die Engländer sind schon stolz auf ihre Talente, denn wir hatten sie alle: Die Beatles, die Stones, Bowie. Aber die Briten lieben es auch, Stars fallen zu sehen. Ich hatte den Eindruck, dass die Leute bei mir extrem eifersücht­ig und unglücklic­h mit meinem weltweiten Erfolg waren. Nach ,The X Factor‘ dachten sie: Wir haben dich mit der Show gemacht, deshalb besitzen wir dich jetzt, du bist uns was schuldig.“

James Arthur konnte im 12. Karriereja­hr seine Probleme mit Depression­en und Panikattac­ken überwinden

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