CHAOS deluxe
Als kleines Kind nannte ich sie „TacTac“, weil der Klang ihrer Stöckelschuhe so laut widerhallte. Sie war weit mehr als eine Tante, eigentlich eine Zweitmutter und für unsere Kinder eine passionierte Mit-Oma. Wenn die Wogen bei uns zu Hause hochbrandeten, wurde sie zur empathiegeladenen Beschwichtigungsakrobatin. Sie überschüttete uns mit dem Gold jeder Persönlichkeitsentwicklung, der „unconditional love“. Auf der Weltkarte, die in ihrer mit antiken Teddybären überbordenden Wohnung hing, waren alle Orte, die sie bereist hatte, mit bunten Wimpeln versehen. Viele Leerflächen waren nicht übrig. Sie war unaufgeregt unkonventionell. Kein Ehemann und unser Glück, dass sie keine eigenen Kinder hatte. Ein Job, der ihr viel abverlangte: Zuletzt leitete sie ein Heim für aus der Spur gekommene Jungmütter. Wenn ich als Kind in der Nase bohrte (habe ich mir inzwischen abgewöhnt, doppelschwöre) gab es keinen Kommandoton, sondern ein Wenn du oben angekommen bist, schickst du mir bitte eine Postkarte?
Kürzlich, bei einem Familienessen hatte sie so eine Postkarte aus „Nasenland“aus ihrem akribischen Erinnerungsfundus mitgebracht. Alles, was ich später gemacht habe, wurde mit Lob überschüttet – wurscht ob verdient oder nicht. Vergangenen Samstag ist sie auf dem Weg zu einem Kinderfaschingfest für immer abgereist: schnell und unkompliziert, wie sie immer war. Das ist unser Trost. Der bunte Blumenhut liegt noch im Auto. Ich wollte sie am Sonntag nach der Rückkehr von einer Reise anrufen. Schmerzender Warnhinweis: Verschiebt eure Wie-geht’s-Telefonate oder Besuche nicht auf den nächsten Tag! Warum verdammt noch einmal, merkt man erst mit voller Wucht wie wichtig ein Mensch in einem Leben ist, wenn er nicht mehr da ist? Welcher Idiot hat sich das so ausgedacht? Gute Reise, Tac-Tac! Wenn es einen Himmel gibt, dann kriegst du dort einen Logenplatz. „Knietief im Glamour“, 4. 2., Rabenhof: Mit Petra Morzé & Sona Macdonald