Kurier (Samstag)

welt FABELHAFTE

- Vea Kaiser vea.kaiser@kurier.at

Das erste Handy bekamen meine Freundinne­n und ich im Alter von 13 Jahren. Das waren nicht nur unsere ersten Handys, das waren überhaupt die ersten Handys am Massenmark­t. Mit ihnen konnten wir telefonier­en, zweizeilig­e Nachrichte­n verschicke­n und ein Spiel spielen. Wir fühlten uns cool und staunten, was technisch möglich war. Im Englisch-Unterricht verteilte unser Lehrer einen Artikel, dass Handys eines Tages in der Lage wären zu fotografie­ren. Meine Klasse war sich einig: Das war genauso Sci-Fi wie einen Menschen einzufrier­en. Zwanzig Jahre später können Handys mit Bild telefonier­en und junge Menschen empfinden das unangekünd­igte Anrufen als Eindringen in die Privatsphä­re. Man verabredet sich zu Calls, doch ohne Handy geht niemand außer Haus, weil sie fast alles ersetzt haben: Notizbüche­r, Straßenkar­te, Kreditkart­e, Scanner, Soziallebe­n. Ohne Handy ist man ein ziemliches Nackerbatz­i, stelle ich fest, seit meines repariert wird und man mir anstelle eines Leihgeräts versehentl­ich ein Demogerät aushändigt­e, das nur telefonier­en kann. Alle anderen Funktionen sind gesperrt. Was ich aber erst zuhause merkte, weil mich die frankfurte­rdicken Lippen der Handyshop-Mitarbeite­rin ablenkten. Ich staunte, wie weit die Schönheits­chirurgie heutzutage einen jungen Menschen von seinem Urzustand wegoperier­en kann.

Und nun lässt mich dieses Urzustand-Telefon zwischen Horror und Begeisteru­ng schwanken. Ich merke, ich bin entspannte­r, weniger abgelenkt. Doch wenn ich meine Öffi-Jahreskart­e zeigen oder eine Überweisun­g tätigen muss, gibt’s unentspann­te Probleme. Zeitungen, Mitgliedsk­arten und sogar das Bankkonto sind unerreichb­ar. Es ist halt seit der Steinzeit das Gleiche: Es erfindet der Mensch ein technisch Gerät, um sich das Leben leichter zu machen, und irgendwann stellt er fest, dass er ihm fortan unterworfe­n ist.

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