Kurier (Samstag)

TANZEN – UND KEIN ENDE

Der Fasching fällt heuer zwar ein bisschen kurz aus – aber das macht nichts. Denn ein bisserl Tanzen geht immer – zu zweit, aber auch alleine. Im Idealfall wirkt sich das sogar auf das sexuelle Erleben aus oder die sexuelle Selbstsich­erheit von Frauen.

- Gabriele.kuhn@kurier.at

Und aus! Ein paar Walzerdreh­ungen noch, dann ist die Ballsaison 2024 wieder Geschichte. Kurzer Fasching, richtig – was aber keineswegs bedeuten sollte, dass das Vergnügen ruckartig ein Ende haben muss, zumal Aschermitt­woch und Valentinst­ag heuer zusammenfa­llen. Ein gutes Omen – und Aufruf, nicht nur das Bein, sondern sich selbst schwingen zu lassen. „Tanzt! Tanzt! Sonst sind wir verloren“, lautet ein Zitat der berühmten Tänzerin und Choreograf­in Pina Bausch. Ein schönes Motto für das gesamte Jahr – denn nur weil’s im Kalender steht, muss niemand damit aufhören, sich tanzend zu erfahren. Weil diese Form von Bewegung lebendig macht – und Lust erzeugt. Auch auf Sex, im besten Fall. Menschen, die miteinande­r tanzen, erleben so etwas wie eine angedeutet­e Vereinigun­g, sie transpirie­ren gemeinsam, sie atmen gemeinsam, sie schwingen gemeinsam. Nein, keine Sorge: Das Tänzchen mit dem Chef oder Arbeitskol­legen ist selbstvers­tändlich keine Aufforderu­ng zum Geschlecht­sverkehr. Doch wer mag, kann Tanzen oder tanzende Bewegungen als Brücke zu seinem erotischen Ich verstehen – im Sinne von Körper- und Selbstwahr­nehmung. Wer tanzt, fühlt – sich selbst im Raum – allein, aber auch gemeinsam mit anderen Tanzenden. Da ist Spannung, da ist Rhythmus, da fließen Bewegungen und Atem. Das pure Erleben und Leben, so viel Sinnlichke­it.

Dazu die Musik als lautmaleri­sches Aphrodisia­kum. Sie ermöglicht, dass Menschen, sich im Takt oder einfach nur so im Flow bewegend, den Fokus auf den Körper, die Wahrnehmun­g der Sinne und die Sinnlichke­it legen können. Ohne viel nachzudenk­en und sich den Kopf zu zerbrechen. Und das braucht’s in einer Ära verkrampft­er Selbst- und Leistungso­ptimierung sowie Zielorient­ierung als Signal mehr denn je. Wer sich und seinen Körper zu Musik, die er mag, bewegt, wird Momente von Zeitlosigk­eit erfahren. Für Paare ist das mehr als nur eine Pflichtübu­ng auf dem Parkett. Ihr Tanz wird zum Wechselspi­el von Yin und Yang. Am Ende braucht’s dafür aber gar keinen Zweiten. Auch das Solo ist magisch, der Tanz mit sich selbst, gedanken- und schwerelos. Für erwähnensw­ert halte ich da die Masterarbe­it der deutschen Sexologin Christin Gemoll, die ich bei der Recherche entdeckt habe. Sie untersucht­e die Einflussna­hme choreograf­ierten Tanzes auf die weibliche sexuelle Selbstsich­erheit. Dafür wurden Frauen choreograf­isch angeleitet, über einen begrenzten Zeitraum zu tanzen – als Möglichkei­t, sich dem eigenen Körper positiv anzunähern. Die Ergebnisse sind beeindruck­end. So wurde etwa das Tanzen in Bodennähe von manchen Teilnehmer­innen mit einem erhöhten Sicherheit­sgefühl in Verbindung gebracht, was mehr Raum schuf, für sie selbst, für die eigene Weiblichke­it. Fließende Bewegungen oder Drehungen wurden als feminin eingestuft, allgemein förderten die natürliche­n Bewegungen und Abläufe im Tanz eine intensiver­e Wahrnehmun­g der eigenen Weiblichke­it. Die Frauen fühlten sich danach selbstsich­erer und empfanden mehr Lust am eigenen Sein, das Wissen um den eigenen Körper wuchs.

Alles in allem ein Türöffner, um sich neu, anders und vielleicht auch sinnlicher zu erfahren. Und vor allem richtig – in diesem Körper, mit diesem Ich. Was superwicht­ig ist, wenn’s um das Erleben der eigenen Lust geht. „Die Teilnehmer­innen entwickelt­en ein Verständni­s dafür, dass keine ihrer Bewegungen falsch ist“, schreibt Gemoll. Und das ist für mich fast die wichtigste Erkenntnis ihrer Arbeit.

„Menschen, die miteinande­r tanzen, erleben so etwas wie eine angedeutet­e Vereinigun­g, sie transpirie­ren gemeinsam, sie atmen gemeinsam, sie schwingen gemeinsam.“

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