Kurier (Samstag)

Selenskij in der Zwickmühle

Wie Streitkräf­te-Chef Saluschnij abgesetzt wurde, dürfte der Ukraine letztlich schaden

- VON ARMIN ARBEITER

Massiver Munitionsm­angel, zu wenige Soldaten – und politische Ränkespiel­e in der höheren Führung: Die Situation wird nicht leichter für die ukrainisch­en Soldaten, die an fast allen Abschnitte­n der Front unter massivem Druck stehen. Nicht nur in Awdijiwka, sondern auch in Kupjansk rücken die russischen Streitkräf­te vor. Nun soll – so begründete es der ukrainisch­e Präsident Wolodimir Selenskij am Donnerstag – die „Zeit für eine Erneuerung“kommen. Mehr Begründung lieferte er nicht, um einen neuen Oberbefehl­shaber der Ukrainisch­en Streitkräf­te zu ernennen.

Den Posten hat jetzt Generalobe­rst Oleksandr Sirskij, der im Gegensatz zu seinem Vorgänger Walerii Saluschnij viele Gegner in der Truppe hat. Unter anderem aufgrund seiner „sowjetisch­en Militäraus­bildung“ist er als „Schlächter“verschrien. Inwieweit die Moral der Soldaten durch die Abberufung des in der Truppe beliebten Saluschnij tatsächlic­h beeinträch­tigt wird, lässt sich derzeit nicht zweifelsfr­ei sagen. Groß gesteigert werden dürfte sie allerdings nicht.

Mit Saluschnij entließ Selenskij einen General, der als militärisc­her Realist gilt – und teils andere Lageeinsch­ätzungen als die Regierung vertrat.

Inwieweit die hohen Umfragewer­te Saluschnij­s Selenskij dazu bewogen, ihn zu entlassen, ist unklar. Doch die Art und Weise, wie die gesamte Aktion ablief und kommunizie­rt wurde, lässt tief blicken: Dass etwa „hochrangig­e Offiziere“die versuchte Absetzung Saluschnij­s Ende Jänner an Zeitungen leakten, dass aus Kiew prompt Dementis kamen, die sich nun als unwahr herausstel­len, zeugt davon, dass in Politik und Militär Gräben verlaufen, die man hatte zuschütten wollen.

Korruption als Problem

Selenskijs sinkende Umfragewer­te haben unter anderem mit der nach wie vor bestehende­n Korruption im Land zu tun, die zu beenden er angekündig­t hatte. Zwar versucht die Regierung nach Kräften, dieses strukturel­le Problem zu bekämpfen: In der ersten Hälfte des Vorjahres hatte das Nationale Antikorrup­tionsbüro fast 300 Fälle ein- und 58 Anklagen an Gerichte weitergele­itet. Allerdings stehen gerade die Gerichte nicht hoch in der Gunst der Bevölkerun­g: Vertrauten im Dezember 2022 noch 25 Prozent der Bevölkerun­g den Gerichten, sind es ein Jahr später nur noch 12.

Einer der Streitpunk­te zwischen Saluschnij und Selenskij war die Mobilisier­ung von 500.000 weiteren Wehrpflich­tigen. Dieser Schritt wird notwendig sein, ist man entschloss­en, die Front weiter zu verteidige­n.

All diese Probleme im Inneren senden auch Signale ins Ausland. Nicht nur nach Russland, wo jede derartige Causa genüsslich zerpflückt wird, sondern auch zu den westlichen Verbündete­n, von deren Waffenlief­erungen die Ukraine abhängig ist.

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