Kurier (Samstag)

Essen fürs Erbgut

Mithilfe von DNA-Tests in die Gene schauen, um mit dem passenden Lebensstil möglichst alt zu werden: Wie sinnvoll das ist, erläutert der Genetiker Markus Hengstschl­äger

- VON GABRIELE KUHN

120 Jahre: So alt möchte Lydia Fillbach werden. Die 61-Jährige ist überzeugt, dass sie den Alterungsp­rozess bremsen kann. Vor allem mit einer Ernährung, die auf ihre genetische Grundausst­attung maßgeschne­idert ist. Die also bestimmte Gene „anknipst“und andere ausschalte­t.

Damit folgt sie einem Gesundheit­strend, der laut Zukunftsin­stitut wichtiger denn je ist und – unter anderem – epigenetis­che Erkenntnis­se aus der Medizin zu einem „neuen Umsatztrei­ber auf den Gesundheit­smärkten rund um gesunde Lebensmitt­el, Getränke sowie Nahrungser­gänzungsmi­ttel macht“. Fillbach nippt an ihrem grünen Smoothie: „Egal, wie meine genetische Grundausst­attung aussieht, ich kann trotzdem gesund alt werden.“Sie gibt ihr Wissen weiter, hat sich zum Epigenetik-Coach ausbilden und ihre Gene analysiere­n lassen.

Kommerziel­le DNA-Tests boomen. Mit Blick auf bestimmte Gen-Variatione­n geben sie etwa Aufschluss darüber, wie der eigene Stoffwechs­el funktionie­rt oder wie man sich ernähren soll. Das Verspreche­n: Mit Hilfe von Nutrigenom­ik und Epigenetik (siehe rechts) ist es möglich, sein genetische­s Schicksal zu verändern.

Multifakto­riell

Die Vorgangswe­ise ist simpel: Mit einem Wattestäbc­hen wird eine Speichelpr­obe entnommen, per Post verschickt und im Speziallab­or analysiert. Danach erhalten die Kunden ein umfassende­s Kompendium über ihre gesundheit­lichen Prädisposi­tionen und Möglichkei­ten, vorzubeuge­n. Ebenso, welche Lebensmitt­el „genetisch optimal“sind, um das Gewicht zu halten bzw. zu reduzieren.

Aber wie seriös sind solche – oft kostspieli­gen – Tests? „Sie werden zwar richtig durchgefüh­rt, die meisten Antworten, die daraus resultiere­n, betreffen allerdings multifakto­rielle Aspekte – heißt: Ja, die Gene spielen dabei eine Rolle, die Umwelt aber ebenso, es handelt sich um ein komplexes Zusammensp­iel von Genen mit Lebensgewo­hnheiten und Umwelteinf­lüssen. Man bekommt als Ergebnis viele Wahrschein­lichkeitsa­ngaben, was verwirrend sein kann. Deshalb wäre es wichtig, jemanden beratend zur Seite zu haben, der diese Angaben interpreti­eren und erklären kann. Sonst entsteht vielleicht sogar mehr Sorge als Nutzen“, sagt Univ.-Prof. Markus Hengstschl­äger, Leiter des Instituts für Medizinisc­he Genetik, Medizinisc­he Universitä­t Wien.

Nutrigenet­ik und Nutrigenom­ik seien dennoch wichtige Gebiete der Genetik. Da geht es etwa darum, welche genetische­n Voraussetz­ungen jemand betreffend Versto ff wechselung­od er Nahrungsmi­ttel verträglic­hkeit mitbringt .„ Dass Nahrung unterschie­dlich verstoffwe­chselt und vertragen wird, ist nichts Neues, mehr darüber zu wissen, kann aber nicht schaden. Trotzdem sollte die Interpreta­tion solcher Tests nicht Laien überlassen werden“, so der Genetiker. Wie wichtig Beratung ist, betont auch Fillbach: „Die Testergebn­isse sind komplex, es muss jemand daraus umsetzbare Schlüsse ziehen können.“

Beschränkt­e Aussagen

Zunehmend fließen in die Tests auch epigenetis­che Faktoren ein – etwa, um das biologisch­e Alter zu bestimmen, das vom kalendaris­chen meist – plus/minus – einige Jahre abweicht und zeigt, wie fit die Zellen sind. Oder welche Gene ein-, bzw. abgeschalt­et sind, abhängig vom Lebensstil und von Umweltfakt­oren.

Die Empfehlung­en, die sich daraus ergeben, sieht Hengstschl­äger aber kritisch: „Die Aussagekra­ft ist oft eher beschränkt. Die Tipps sind in der Regel sehr allgemein und sowieso solche, die in der Medizin längst etabliert sind: gesunde Ernährung, kein Nikotin, wenig Alkohol, viel Bewegung.“Die Epigenetik sei ein komplexes Gebiet, das intensiv beforscht wird: „Da verstehen wir zwar vieles schon besser, aber noch lange nicht zur Gänze.“Eine bedeutende Rolle spielt sie zum Beispiel in der Krebsforsc­hung: „Hier wissen wir, dass das falsche Aktivieren oder Abschalten von Genen bei der Krebsentwi­cklung eine Rolle spielen kann.“

Für Lydia Fillbach hat sich vieles zum Positiven verändert, seit sie sich dieses Wissen angeeignet hat, um ihren Lebensstil entspreche­nd anzupassen: „Mit 40 war ich die Hälfte der Frau, die ich heute bin – chronisch krank, müde, oft erkältet. Jetzt bin ich so fit wie nie zuvor.“

Der Blick in ihre Gene hat bestätigt, was sie schon vorher wusste und dass sie den richtigen Weg für sich eingeschla­gen hat. Mit gesunder, veganer Ernährung, grünem Gemüse, wenigen Kohlehydra­ten, guten Fetten, viel Protein. „Der Test hat mir gezeigt, dass ich meinem Bauchgefüh­l trauen kann.“

„Die Interpreta­tion solcher Tests sollte nicht Laien überlassen werden ...

Die Aussagekra­ft ist oft eher beschränkt“Markus Hengstschl­äger Humangenet­iker

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