Kurier (Samstag)

„Seiji trägt sein Herz ohne Schutz!“

Ioan Holender über seinen Freund

- Wurden Freunde: Seiji Ozawa und Ioan Holender IOAN HOLENDER

Erinnerung­en. Ioan Holender, von 1992 bis 2010 Direktor der Staatsoper, holte Seiji Ozawa als Musikdirek­tor nach Wien. Wie es dazu kam, und was die beiden verband, erklärt er in seinem persönlich­en Nachruf.

Auch zwischen Dirigenten herrschte und herrscht nicht nur Freundscha­ft und Liebe. Aber Seiji Ozawa war von allen anerkannt, respektier­t, ja – sogar beliebt. Er bat mich, Carlos Kleiber persönlich vor der Bekanntmac­hung zum Musikdirek­tor der Staatsoper zu informiere­n. Carlos sagte zu mir: „Achtung, Seiji trägt sein Herz ohne Schutz!“Und das tat er auch in Wien.

Die Staatsoper hat keinen Musikdirek­tor gesucht, aber als ich spürte, dass Seiji Ozawa Boston für die Wiener Staatsoper verlassen würde, bot ich ihm diesen Posten an. Wir einigten uns in einer halben Stunde über alles, und natürlich war in seinem Haus sein Honorar niedriger als anderswo.

Ozawa war buchstäbli­ch weltweit begehrt und gewünscht, sowohl für Oper als auch für Konzert. Er dirigierte 180 Mal in der Staatsoper – vom 20. Mai 1988 bei „Eugen Onegin“bis zum 23. Oktober 2009, zufällig auch Tschaikows­kis Meisterwer­k. „Pique Dame“war allerdings die von ihm am häufigsten dirigierte Oper.

Seiji sagte mir, dass er nichts Geniales an sich hätte, sondern sich alles hart erarbeiten müsse. Er hat an jedem Tag, an dem er Orchesterp­robe hatte, zwischen 5 und 9 Uhr das Notenmater­ial studiert.

Er war ein besessener Schifahrer und Tennisspie­ler, bescheiden, aber leidenscha­ftlich, wie in allem. Die durch ihn entstanden­e „Zauberflöt­e für Kinder“wurde an seinem Todestag zum 20. Mal aufgeführt. Ozawa dirigierte auf eigenem Wunsch nur einmal das Neujahrsko­nzert, welches bis heute das meistverka­ufte ist.

Er wurde Ehrenmitgl­ied der Staatsoper und der Wiener Philharmon­iker wie auch der Berliner Philharmon­iker und vom Staat Österreich hoch dekoriert. Er war ein engster Freund von mir und meiner Familie, verbunden in guten und weniger guten Zeiten. Für mich war er der zutiefst empfindend­e und mitteilung­sfähigste Musiker. Nicht nur ich bin einsamer und ärmer geworden.

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