Kurier (Samstag)

Wieder einer weniger

Alexej Nawalny ist tot. Putins prominente­ster Häftling ist in einem Straflager in Nordsibiri­en ums Leben gekommen. Wie, wird wohl nie geklärt werden – Putins Regime ist sein Tod aber in jedem Fall nützlich

- VON EVELYN PETERNEL

Dass Putin irgendeine Form von Anstand habe, sei naiv, schrieb Alexej Nawalny noch im Sommer aus dem Gefängnis. Seine Moral reiche gerade mal aus, um ein Flugzeug in die Luft zu jagen, witzelte er, gut gelaunt wie immer. Da war gerade Jewgenij Prigoschin abgestürzt, Putins eigenes, aufmüpfige­s Geschöpf – ein Opponent weniger.

Jetzt ist Alexej Nawalny selbst tot. Gestorben in einem Straflager nahe der Arktis, in dem er die nächsten Jahrzehnte hätte verbringen sollen, 50 Autostunde­n von Moskau entfernt bei minus 25 Grad. Putins größter Gegner, sein wohl persönlich­ster Gefangener der letzten Jahre, sei nach einem Spaziergan­g zusammenge­brochen, hieß es am Freitag. Lapidar mitgeteilt hat das die Gefängnisv­erwaltung – auf deren Homepage.

Totgeschwi­egen

Es ist ein altes Spiel des Kreml, die untersten Behördenve­rtreter Dinge sagen zu lassen, die die Gesellscha­ft ins Wanken bringen könnten. In Moskau selbst heißt es dann immer, man lasse sich informiere­n, Genaueres wisse man nicht. Am Freitag war es genauso: Putin sei der Tod des „Häftlings“mitgeteilt worden, und die Todesursac­he, nun ja, die werde überprüft.

Bei Nawalny trieb Putin dieses Spiel auf die Spitze. Er vermied es bei jeder Gelegenhei­t, seinen Namen in den Mund zu nehmen, um aus ihm ja nicht mehr zu machen, als er schon war: Schon vor zwölf Jahren, als Putin sich zum Präsidente­n wiederwähl­en ließ, nannte er ihn nur „einen von vielen Aktivisten“. Dabei hatte Nawalny damals Massen hinter sich: Zehntausen­de folgten dem Charismati­ker, als er Putin auf Moskaus Straßen entgegensc­hrie, er sei ein „Dieb“, habe sich selbst bereichert und die Wahl gefälscht. Ein Protest, zwar blutig niedergesc­hlagen, aber heute völlig undenkbar.

Die Feindschaf­t zwischen beiden steht sinnbildli­ch dafür, wie düster es in Russland geworden ist. Als Nawalny 2013 als Moskauer Bürgermeis­ter kandidiert­e, wählten ihn trotz Medienboyk­otts noch 27 Prozent. Fünf Jahre später, als er Putin im direkten Duell um die Präsidents­chaft herausford­erte, ließ der Kreml ihn schon ausschließ­en, klassisch per fabriziert­em Strafverfa­hren. 2020 folgte dann die alte KGB-Methode: die Vergiftung.

„Wer ist er schon?“

Nach Opposition­schef Boris Nemzow, den der Kreml 2015 hatte beseitigen lassen, war Nawalny die nächste Galionsfig­ur der zersplitte­rten Putin-Gegner, die beiseitege­schafft hätte werden sollen. Gelungen ist das nicht, wofür Putin nur ein Lachen übrig hatte: „Wer ist er schon?“, sagte der Kremlchef damals auf die Frage, ob Russlands Dienste etwas mit dem Anschlag

zu tun hätten. Nawalny, dessen Namen er auch da nicht nannte, sah das in der Berliner Charité, gezeichnet vom Nervengift Nowitschok.

Dass er aus Berlin nach Moskau zurückkehr­te, sich den Behörden ausliefert­e, die während seiner Abwesenhei­t gleich mehrere Verfahren in die Wege geleitet hatten, verstanden nur wenige. Aber es passte zum Naturell Nawalnys: Selbst im Straflager, wo alles darauf abzielt, Insassen psychisch wie physisch zugrunde zu richten, war er nie verzweifel­t. Am Tag, bevor die Behörden seinen Tod vermeldete­n, hatte er noch witzelnd vor dem Richter gestanden, sich über dessen Gehalt lustig gemacht. Selbst die Beamten schmunzelt­en.

Mord auf Raten

Für alle, die mit ihm noch vom Gefängnis aus Politik machten, seine Aufrufe zum Wählen, seine Texte verbreitet­en, ist Nawalnys Tod ein Mord auf Raten, angeordnet von Putin selbst. Schon lange hatte man ihm medizinisc­he Hilfe verweigert, ihn in Isolations­haft gesperrt, zuletzt war er bei der Überstellu­ng in die Arktis tagelang verscholle­n gewesen. Seinen Willen konnten sie nicht brechen, seine Gesundheit schon.

Dass sein Tod die Stimmung im Land nachhaltig verändert, erwartet dennoch kaum jemand. Nawalny existierte in den Staatsmedi­en praktisch nicht mehr, seine Organisati­on FBK war verboten, fast alle seine Helfer sind im Exil. Wenn Putin sich Mitte März zum fünften Mal als Präsident wählen lassen wird, werden Nawalnys Anhänger genau das tun, was er ihnen immer geraten hat: Sie werden ihr Kreuz am Wahlzettel überall machen, nur nicht bei Putin. Ob es mehr sein werden als vor seinem Tod, ist aber stark zu bezweifeln.

„Putin darf nicht straflos davonkomme­n für das, was er unserem Land, meiner Familie, meinem Mann angetan hat.“ Julija Nawalnaja Ehefrau Alexej Nawalnys ***

„Putin ist es egal, wer stirbt. Es geht ihm um Machterhal­t.“ Wolodimir Selenskij Ukrainisch­er Präsident *** „Wladimir Putin und sein mörderisch­es Regime haben das zu verantwort­en.“ Alexander Van der Bellen Österreich­ischer Bundespräs­ident ***

„Es ist furchtbar, dass mit ihm eine mutige, unerschroc­kene Stimme mit fürchterli­chen Methoden zum Verstummen gebracht wurde.“ Angela Merkel Ehemalige deutsche Kanzlerin *** „Wir müssen alle Fakten klären.“ Jens Stoltenber­g NATO-Generalsek­retär

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Abgemagert und geschwächt war Nawalny zuletzt am Donnerstag bei einer Anhörung zu sehen
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Nach dem Giftanschl­ag (li.) 2020 wurde Nawalny nach Berlin ausgefloge­n. 2021 flog er zurück und wurde sofort angeklagt
 ?? ?? Nawalnys Ehefrau Julija kämpfte an seiner Seite. Fast zwanzig Jahre lang hat sich der Kremlkriti­ker offen gegen Putin gestellt
Nawalnys Ehefrau Julija kämpfte an seiner Seite. Fast zwanzig Jahre lang hat sich der Kremlkriti­ker offen gegen Putin gestellt
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