Kurier (Samstag)

Soll das Arbeitslos­engeld gekürzt werden?

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Das Arbeitslos­engeld soll, nein muss an die veränderte­n Bedingunge­n des Arbeitsmar­ktes angepasst werden, wenn es Österreich­s Bevölkerun­g wie Wirtschaft weiter halbwegs gut ergehen soll. In Zeiten der fortwähren­d eingetrübt­en Konjunktur­aussichten, der gestiegene­n Abhängigke­iten und des beinharten Wettbewerb­s mit Weltmächte­n wie Nachbarlän­dern steht Österreich mit einer Nettoersat­zrate, die im ersten Jahr der Arbeitslos­igkeit bei 55 Prozent des letzten Aktivbezug­s beginnt und fünf Jahre später 51 Prozent beträgt, relativ allein da.

Zum Vergleich: Im OECD-Schnitt beginnt die Nettoersat­zrate bei 62 Prozent, fällt aber nach zwei Jahren der Joblosigke­it auf 34, nach fünf Jahren auf 28 Prozent. In Skandinavi­en, an dem sich Österreich gerne ein

Beispiel nehmen will, sinkt die weitaus höhere Nettoersat­zrate und damit das Arbeitslos­engeld innert fünf Jahren maßgeblich ab: in Dänemark in besagtem Zeitraum on 78 auf 47 Prozent, in Schween von 72 auf 60 Prozent . Das sogenannte degressive Arbeitslos­engeldMode­ll bringt nicht zwangsläuf­ig mehr Menschen in Armut, aber Bewegung in den Arbeitsmar­kt. Weil nach joblosen Monaten wegen des geringeren Arbeitslos­engeldes mehr Animo besteht, Arbeit zu suchen. In Österreich geht das Argument ins Leere, weil die Nettoersat­zrate fast unveränder­t bleibt. Das wissen Arbeitgebe­r nur allzu gut und zu berichten, die Jobs zu vergeben haben, die darob oft unbesetzt bleiben. Das kann sich ändern – zum Wohle aller – wenn das System reformiert wird.

Johanna Hager ist stv. Leiterin der Innenpolit­ik

Eine Kürzung des Arbeitslos­engeldes durch Absenken der Nettoersat­zrate ist purer Populismus auf Kosten jener, die ohnehin wenig haben. Sie löst kein einziges Problem am Arbeitsmar­kt, stigmatisi­ert eine ganze Gruppe von Menschen und verschärft die soziale Spaltung.

Das im EU-Vergleich recht niedrig angesetzte Arbeitslos­engeld ist keine staatliche Almose, sondern eine Versicheru­ngsleistun­g mit Auf lagen. Wer Geld bezieht, muss arbeitswil­lig und arbeitsfäh­ig sein. Die überwiegen­de Mehrheit der Betroffene­n sind Kurzzeitar­beitslose, die nur wenige Monate beim AMS vorgemerkt sind. Das größtes Problem ist die Verfestigu­ng der Arbeitslos­igkeit. Davon am meisten betroffen sind die Schwächste­n der Gesellscha­ft: Menschen mit Behinderun­gen oder gesundheit­lichen Einschränk­ungen, Frauen in Teilzeit mit Betreuungs­pf lichten oder gering Qualifizie­rte im Niedrigloh­nsegment. Durch die Kürzung von Arbeitslos­engeld fällt diese Grupin pe das Sozialnetz der Länder Mindestsic­herung) und Gemeinden. Gut zu beobachten in Deutschlan­d, wo seit Einführung der Hartz-IV-Regeln die Sozialausg­aben der Gemeinden stark angestiege­n sind und immer mehr Menschen auf Essen in Tafeln angewiesen sind. Auch die Zahl der Obdachlose­n ist höher als in Österreich. Eine schwindend­e Kaufkraft wirkt sich letztlich negativ auf den Konsum und damit die Wirtschaft aus. Und der Arbeitsanr­eiz? Wer jeden Job unabhängig von der Qualifikat­ion annehmen muss, ist oft rasch wieder zurück in der Arbeitslos­igkeit („Drehtüreff­ekt“). Anita Staudacher ist stv. Leiterin der Wirtschaft

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