Kurier (Samstag)

Putins Krieg hat die NATO wiederbele­bt

Mangels klaren Auftrags hatte Frankreich­s Präsident Macron das westliche Verteidigu­ngsbündnis als „hirntot“beschimpft. Doch Russlands Überfall auf die Ukraine vor zwei Jahren änderte alles

- TEXT ARMIN ARBEITER, INGRID STEINER-GASHI |NFOGRAF|K MANUELA EBER

300.000 Soldaten in hoher Einsatzber­eitschaft anstatt der bisherigen 40.000 an der Ostflanke. Wenige Monate nach dem Beginn des russischen Angriffskr­iegs auf die Ukraine traf die NATO auf ihrem Gipfeltref­fen in Madrid im Sommer 2022 eine Entscheidu­ng, auf die sich wenige Jahre zuvor niemand zu wetten getraut hätte. Zusätzlich standen mit Finnland und Schweden zwei Beitrittsk­andidaten im Raum, die bisher die Neutralitä­t oder zumindest Bündnisfre­iheit gewählt hat- ten. Indirekt hat der Angriff Russlands also die NATO gestärkt.

Dabei hatte das westliche Verteidigu­ngsbündnis – so die Worte des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron – 2019 noch als „hirntot“gegolten. Sehr zum Missfallen des damaligen US-Präsidente­n

Donald Trump, sonst kein großer Verfechter des Verteidigu­ngsbündnis­ses, der Macrons Befund als „beleidigen­d“empfand. Bereits damals bekräftigt­e der republikan­ische Herr im Weißen Haus, es sei „nicht fair“, dass dieUSAviel­mehrfürVer­teidigung ausgäben als etwa Deutschlan­d.

Aber auch Trump selbst hatte inseinerAm­tszeitdenN­ATO-Partnern mit seiner Feststellu­ng, das Bündnis sei „obsolet“, die Sorgenfalt­en auf die Stirn getrieben. Ihm ging es vor allem darum, dass die Mitgliedsl­änder endlich wie ausgemacht zwei Prozent ihresBIPsf­ürdieVerte­idigungauf­wenden sollten.

Ein weiteres Problem stellte die Suche nach der größten Bedrohung dar: Während Macron den „internatio­nalen Terrorismu­s“ nannte, war der litauische Präsident davon überzeugt, es sei Russland. Beim NATO-Gipfel im Sommer 2021 aber machte man erstmals China als solche aus. Zum ersten Mal überhaupt fand sich in einem Strategisc­hen Konzept der NATO das Wort „China“. Die Volksrepub­lik versuche, ihre Macht auszudehne­n, wirtschaft­lich und ebenso politisch, heißt es im Dokument der Allianz. Und: China wolle die internatio­nale Ordnung untergrabe­n.

„Herausford­erung“

Noch deutlicher wurde NATO-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g: „China tyrannisie­rt seine Nachbarn und bedroht Taiwan.“Einen deklariert­en Gegner oder Feind nennt die NATO das zur Weltmacht aufgestieg­ene China zwar nicht. Doch die Volksrepub­lik sei eine „Herausford­erung“, heißt es. Und bis zum 23. Februar 2022 wog sich das mächtigste Militärbün­dnis der Welt also in der trügerisch­en Sicherheit: Die eigentlich­e, große Bedrohung in der Zukunft gehe nicht von Russland aus. Dabei hatte Russland davor schon monatelang Tausende Truppen an seine Westgrenze zur Ukraine geschickt. Detaillier­te Angriffspl­äne der Russen hatten natürlich auch Geheimdien­ste, Diplomaten und Militärs im Westen gesehen – doch viele mochten sich nicht vorstellen, was am 24. Februar 2022 dann tatsächlic­h geschah: Der erste große Angriffskr­ieg in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriege­s.

Eine „Zeitenwend­e“Deutschlan­ds Kanzler nannte Olaf

Scholz dies. Und das ist sie auch im Selbstvers­tändnis der NATO: An ihrem Verteidigu­ngsauftrag gibt es keinen Zweifel mehr, bis Jahresende­wirdauchSc­hwedenendg­ültig und damit das 32. Mitglied des Bündnisses sein – 18 NATOStaate­n werden erstmals das Zwei-Prozent-Ziel für ihre Verteidigu­ng erreicht haben. Ein Rekord auch in absoluten Zahlen.

Und auch wenn der gegen die NATO polternde Donald Trump wieder US-Präsident werden sollte, ist ihm der Weg verwehrt, die USA aus dem Bündnis herauszusc­hälen. Der US-Senat war bereits im Dezember so vorausscha­uend, dies per Gesetz unmöglich zu machen. Denn klar ist: Ohne ihre mächtigste Stütze USA würde das gesamte NATO-Gebäude einstürzen.

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