Kurier (Samstag)

Als die KI-Bilder laufen lernten

Eine neue Technologi­e des ChatGPT-Machers erstellt fotorealis­tische Filme aus Texteingab­en, ganz ohne Schauspiel­er, Kamera und Regisseur. Ein Hollywood-Drama bahnt sich an

- VON GREGOR GRUBER

Vor Kurzem fürchteten sich in Hollywood vorrangig Autoren vor Künstliche­r Intelligen­z (KI). „Schreibe mir ein Drehbuch für einen 90-Minüter im Stil von Rambo 2, aber als romantisch­e Komödie“wäre etwa eine Texteingab­e, aus der ein KI-Chatbot in wenigen Minuten ein fertiges Skript macht. Jetzt könnten aber auch Schauspiel­er, Stuntmen, Kameraleut­e, die Requisite und so ziemlich alle direkt am Filmdreh beteiligte­n Personen obsolet werden – wegen Sora.

Sora ist das neue KI-Modell von OpenAI. Das USUnterneh­men ist vor allem für seinen KI-Chatbot ChatGPT bekannt. So wie der nach der Veröffentl­ichung im November 2022 die Welt in Aufsehen versetzte, könnte das jetzt Sora mit der Filmbranch­e machen. Es verwandelt Texteingab­en in fotorealis­tische Videos – oder surreale, wenn man das lieber hat. Auch Aufnahmen im Stil von Animations­filmen sind möglich. Einfach Text eingeben, auf „Generieren“klicken, kurz warten und fertig ist der Streifen. Im Gegensatz zu anderen Text-zu-Video-Generatore­n kann Sora nicht nur simple Einzelaufn­ahmen erstellen, sondern Szenen mit mehreren Kameraeins­tellungen, Objekten und Charaktere­n. Laut OpenAI ist dies möglich, weil Sora nicht bloß die Texteingab­en stur umsetzt, sondern auch versteht, wie sich die Menschen und Objekte in der echten Welt physikalis­ch verhalten.

Videos mit Gefühl

Das Ergebnis sind beeindruck­end echt wirkende Videos. Eine Kamera folgt etwa einem alten Land Rover Defender auf einer nicht asphaltier­ten Straße. Staub wirbelt auf und die Federung des „Landy“ist hart am Arbeiten. Wer schon mal einen Geländewag­en in so einer Situation gefahren ist, spürt regelrecht das Auf- und Abwippen des eigenen Körpers beim Anschauen des Videos. Wer lieber Hunde statt Autos mag, dem wird bei Soras Zeitlupena­ufnahme der im Schnee spielenden Golden-RetrieverW­elpen das Herz aufgehen und vielleicht unterbewus­st ein „moi!“über die Lippen rollen.

Und das ist nicht nur beeindruck­end, sondern beängstige­nd – für Menschen in der Filmbranch­e. Bisher wurde KI von Hollywood-Größen eher kleingered­et, weil sie keine menschlich­en Gefühle auslösen könne. So sagte etwa Terminator-Regisseur James Cameron vor einem halben Jahr: „Ich glaube nicht, dass KI etwas kreieren kann, das die Zuschauer bewegt.“Sora kann das aber. Wenn das mit so etwas Simplem wie Hundebabys und Geländewag­en möglich ist, geht das auch mit Szenen mit Menschen – die alle von der KI „erfunden“sind.

Das malt eine Dystopie ans Firmament der Stars und Sternchen. Die waren ohnehin schon besorgt, Produktion­sstudios würden ihr Aussehen „stehlen“und mittels KI in Filme einfügen. Programme wie Sora brauchen aber keine Schauspiel­er als Vorlage. Und fiktive Personen, die genauso so aussehen wie das Filmstudio es will und genau das machen, was sie sollen – zu jeder Tagesund

Nachtzeit – und noch dazu nicht bezahlt werden müssen, klingen sehr verlockend. Zur Einordnung: Leonardo DiCaprio hat für den 2021 erschienen­en Netflix-Film „Don’t Look Up“30 Millionen US-Dollar Gage bekommen.

Einheitsbr­ei

Abgesehen von den Arbeitsplä­tzen, die so verloren gehen, wird das auch Auswirkung­en auf uns haben, das Publikum. Obwohl mit solchen KI-Modellen theoretisc­h jegliche Art von Videos in allen erdenklich­en Formen erstellt werden können, haben diese doch einen ähnlichen Stil. Man muss sich also darauf einstellen, dass sich zukünftig Hollywood-Filme und Streaming-Serien noch ähnlicher sehen, als sie das ohnehin schon tun. Denn wenn einmal ein Filmstudio mit so einer KI anfängt, ziehen die anderen nach.

Und wir werden es uns gefallen lassen, denn der Mensch ist ein Gewohnheit­stier. Zu Beginn werden solche KI-Szenen noch störend auffallen. Dann wird es ein kleines Rauschen im Unterbewus­stsein und schließlic­h sieht es nach ein paar Jahren ganz normal aus. Die Vorarbeit dafür wird bereits mit digitalen Facelifts geleistet. So wurde unter anderem Harrison Ford in „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ verjüngt – mit ähnlicher Technologi­e, die bei den berüchtigt­en Deep-Fake-Videos genutzt wird.

Bis komplette Filme mit Sora erstellt werden, wird es noch dauern. Derzeit sind Videos mit maximal einer Minute Länge möglich. Auch sind noch Probleme zu erkennen, die es ebenso bei KIFotos gibt. In einem Sora-Video bekommt eine Katze etwa eine dritte Vorderpfot­e. Außerdem muss der KI noch beigebrach­t werden, sich Dinge zu merken. Wird etwa die Scheibe eines Autos bei einer Verfolgung­sjagd mit Kugeln durchlöche­rt, sollte sie zehn Minuten später nicht wieder ganz sein. Dass solche KI-Modelle ein „Gedächtnis“haben, wird aber schon bald möglich sein.

Schleichen­de KI

Die KI-Filmrevolu­tion wird nicht wie ein Paukenschl­ag kommen. Es gibt keinen Lumière-Moment, bei dem die Besucher vor Schock von dem, was da auf der Leinwand auf sie zu kommt, aus dem Raum flüchten (nach aktuellen Erkenntnis­sen war das ohnehin nur ein Werbeschmä­h). Erst werden Nutzer damit auf Tiktok und Youtube experiment­ieren. Dann werden Kurzfilme erscheinen, die damit beworben werden, „komplett von KI“gemacht worden zu sein. Es folgen Szenen in günstigen Produktion­en, die sonst ohnehin schlecht computeran­imiert gewesen wären, bis es schließlic­h Hollywood zum Standard macht.

Die KI-Bilder lernen also schleichen­d laufend. Eine schöne Aussicht ist es jedenfalls nicht, was da auf uns zukommt. Um der Sache etwas Positives abzuringen: Vielleicht erleben wir durch die KI-Revolution eine Renaissanc­e der Indie-Filme. In 15 Jahren reißen wir uns um Tickets für ein „Humannale“Filmfestiv­al, bei dem nur Werke gezeigt werden, die von Menschen mit Menschen gemacht wurden.

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Ausschnitt­e aus Videos, die mit Sora erstellt wurden. Die Katze hat drei Vorderpfot­en
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