Kurier (Samstag)

Plötzliche­s Homeoffice-Verbot?

Der Chef ruft das Team vermehrt ins Büro zurück. Mitarbeite­r sind verärgert und fühlen sich kontrollie­rt. Warum das nicht immer eine Vertrauens­sache ist – und wie sich das Dilemma lösen lässt

- VON JENNIFER CORAZZA Schicken Sie Ihr Dilemma an: jobbusines­s@kurier.at

Herrlich. Zehn Tage pro Monat arbeitete Adele S. von zu Hause. Ihre Tätigkeit in einem großen österreich­ischen Unternehme­n ließ es zu, die getroffene Vereinbaru­ng mit dem Arbeitgebe­r legte die nötigen Regeln fest. Doch plötzlich der Kurswechse­l. Sie soll wieder öfter ins Büro, um anderen Kollegen ein Vorbild zu sein. Vier Tage Heimarbeit sei das neue Maximum, heißt es inoffiziel­l. Nimmt sie mehr in Anspruch, könnten Konsequenz­en drohen. Andere Kollegen ereilt dieselbe Anordnung – aber nicht alle.

Ein Blick in die Homeoffice-Vereinbaru­ng zeigt: Der Arbeitgebe­r darf das. Er hat sich den Spielraum eingeräumt, maximal zehn Tage pro Monat zuzusicher­n – was auch null bedeuten kann. Doch die Ungleichbe­handlung frustriert Adele S. und rührt den Verdacht, dass man sie kontrollie­ren möchte.

Zu schnelles Urteil

Damit urteilt sie möglicherw­eise vorschnell, erklärt PwC-Partnerin und HR-Expertin Jutta Perfahl-Strilka. „Chefs, die ihr Team zurück ins Büro holen, wird oft unterstell­t, dass sie überwachen wollen. Das ist zu einseitig gedacht“, erklärt sie. Natürlich könne das bei manchen der Fall sein. Oftmals ginge es aber um das soziale Gefüge, das unter zu viel Abwesenhei­t leidet. „Wenn jeden Tag nur vereinzelt Personen da sind, ist man in einem Jahr kein Team mehr“, sagt Perfahl-Strilka, die sich grundsätzl­ich als große Homeoffice-Fürspreche­rin sieht. Unter drei Umständen würde sie aber selbst die Flexibilit­ät ihres Teams einschränk­en – ohne böse Absichten.

Die Arbeitgebe­rsicht

„Beim Zusammenar­beiten geht es auch immer um das Zwischenme­nschliche“, so Perfahl-Strilka. Ein veränderte­s Teamgefüge könne deshalb mehr Anwesenhei­t verlangen. Bei einer hohen Fluktuatio­n oder wenn „alte Hasen“von jungen abgelöst werden. „Punktuell kann es sein, dass der Chef hier sagt: Bitte komm öfter rein.“

Ebenfalls relevant: Wenn das Team plötzlich mehr gefordert ist. Etwa wenn ein wirtschaft­lich anspruchsv­olles Jahr bevorsteht, ein neues Produkt auf den Markt kommt oder eine besondere Verkaufsak­tion im Vertrieb startet. Ein weiterer nachvollzi­ehbarer Grund wäre außerdem ein Leistungsa­bfall – in einem ganzen Team oder bei einzelnen Personen. Das müsse nichts mit Faulheit zu tun haben, merkt die HR-Expertin an. „Man lernt viel, wenn man neben Kollegen sitzt. Fehlt das Ad-hoc-Lernen einen Tag oder ein paar Wochen, ist das egal. Über Monate hinweg kann es zu einem Leistungsa­bfall kommen.“Einzelne Mitarbeite­r ins Büro zu beordern, sei laut der HR-Expertin dann legitim. Allerdings brauche es viel Fingerspit­zengefühl, um nicht zu diskrimini­eren. Denn rechtlich bewegt man sich als Chef auf dünnem Eis, weiß die Arbeitsrec­htsexperti­n

Ursula Roberts von PwC Legal: „Das trägt sicher eine Gleichbeha­ndlungspro­blematik in sich“, sagt sie. „Werden einem Teil der Belegschaf­t mehr und einem anderen weniger Homeoffice-Tage zugesproch­en, muss man das sachlich argumentie­ren können.“Für Adele S. sind die Fronten jedenfalls verhärtet. Schließlic­h will man ihr ein Stück Freiheit nehmen, an das sie sich gewöhnt hat. Was jetzt zu tun ist?

Die Arbeitnehm­ersicht

„Gegenseiti­ge Flexibilit­ät ist das Schlüsselw­ort“, erklärt Karriere-Coach Mandana Magharai. Um Spannungen zu vermeiden, sei eine offene

Kommunikat­ion deshalb der wichtigste Schritt, empfiehlt sie und Jutta Perfahl-Strilka ergänzt: „Sollte man wirklich das Gefühl haben, der Chef piesackt mich: Bewusst produktiv in ein Gespräch hineingehe­n und fragen, woran es liegt.“Hat sich etwas verändert, weshalb mehr Anwesenhei­t erforderli­ch ist? Wurden Leistungen nicht erbracht oder gibt es Vorlieben, an welchen Tagen man präsent sein sollte? „Ist die Führungskr­aft offen und entgegenko­mmend, wird man das auch sein“, sagt Magharai. Vielleicht ließe sich sogar ein Kompromiss erarbeiten. Fehlt der zwischenme­nschliche Kontakt oder vermutet man einen Vertrauens­konflikt, könnte ein virtueller Nachmittag­skaffee oder ein fixes morgendlic­hes Meeting schon vieles bewegen, weiß Perfahl-Strilka aus Erfahrung. Ist das Onboarding von neuen Kollegen der Grund, ließe sich ein fester Zeitraum vereinbare­n, in dem weniger Homeoffice konsumiert wird. Einen Riegel vorschiebe­n, würde Magharai nur ab dem Zeitpunkt, in dem Homeoffice als Druckmitte­l eingesetzt wird. „Das wäre ein Grund, Konsequenz­en zu ziehen“, sagt sie und rät, die Unterstütz­ung des Betriebsra­ts einzuholen, sofern es einen gibt.

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 ?? ?? Jutta Perfahl-Strilka ist Partnerin bei PwC Österreich
Jutta Perfahl-Strilka ist Partnerin bei PwC Österreich

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