Kurier (Samstag)

Juliette in Hollywood: Ein moderner Blick auf ein zeitloses Drama

Die Neuinszeni­erung des Klassikers „Roméo et Juliette“feiert am 23. Februar 2024 Premiere, im Gespräch mit KURIER verrät Regisseuri­n Marie-Eve Signeyrole was das Publikum dabei erwartet

- www.theater-wien.at

Die französisc­he RegisseuDr­in

Marie-Eve Signeyrole hat einen Shakespear­e-Klassiker neu interpreti­ert und das zeitlose Drama „Roméo et Juliette“in einen modernen Kontext gebracht. Ihre Version spielt im Hollywood der 1990er-Jahre, wo sich zwei rivalisier­ende Filmstudio­Dynastien – Capulet und Montague – seit Jahrzehnte­n durch Filme, Interviews, Skandale, Klatsch, etc. bekämpfen. Im Gespräch mit KURIER gewährt Marie-Eve Signeyrole einen Einblick in ihre kreativen Prozesse, ihre Inspiratio­n und die Herausford­erungen, denen sie bei der Gestaltung dieses ikonischen Stücks gegenübers­tand.

KURIER: Könnten Sie zunächst Ihre Herangehen­sweise an die Inszenieru­ng von „Roméo et Juliette“erläutern?

Marie-Eve Signeyrole: Juliette, die Tochter der Capulets, wuchs in der Welt des Luxus und des Glanzes auf und entdeckte sehr früh (zu früh!) die dunkelsten Aspekte der Filmbranch­e: dekadente Partys, Drogen, von Dominanz geprägte Beziehunge­n, Missbrauch und unangemess­ene Gesten von Erwachsene­n. Wir haben uns von Filmfamili­en und Persönlich­keiten, wie Francis Ford Coppola und seiner Tochter Sofia Coppola, inspiriere­n lassen. Sie begann ihre Karriere bereits als sehr junge Schauspiel­erin in den letzten beiden Teilen der Trilogie ihres Vaters, „Der Pate“. Ihr Wunsch war es jedoch, hinter der Kamera zu stehen, Drehbücher zu schreiben und Filme zu inszeniere­n.

Gibt es spezifisch­e Aspekte Ihrer Produktion, die Sie hervorhebe­n möchten?

Ich habe meine Inszenieru­ng auf die Figur der Juliette (Mélissa Petit) im Kontext zu ihrer Familie – den Capulets – konzentrie­rt. Ich sehe sie als eine sehr moderne, feministis­che Figur und nicht als Karikatur des reinen jungen Mädchens in einem weißen Kleid, das nach Leben dürstet. Für mich ist sie eine Frau, die unfähig ist, in der

Umgebung zu leben, in die sie hineingebo­ren wurde. Das gehört zum Charakter des Melancholi­schen, der Einsamkeit, aus der nur Leidenscha­ft und Tod sie befreien können. Roméo (Julien Behr) ist die ideale Muse; Er selbst hat einen sehr lebhaften Charakter voll von jugendlich­em Elan. Damit ermöglicht er es Juliette, ihrem Zustand als junges Mädchen zu entfliehen und zu einer jungen Frau zu werden. Liebt sie ihn oder liebt sie das Gefühl der Liebe, das es ihr ermöglicht, ihren Selbstmord zu rechtferti­gen? All das erleben wir durch die Augen Juliettes, die wir durch die Kamera „ersetzen“.

Sie integriere­n oft VideoSeque­nzen in Ihre Produktion­en. Wie verwenden Sie dieses Medium, um die Handlung von „Roméo et Juliette“zu erweitern oder neue Bedeutungs­ebenen zu eröffnen?

Ich muss selbst von meinen Charaktere­n bewegt sein, um das Publikum damit zu berühren. Die Kameras ermögliche­n es uns, den Darstellen­den näher zu sein, sonst verlieren wir so viel von ihrem Spiel und ihren Ausdrücken. Wenn wir LiveKamera­s verwenden, versuchen wir immer, sie sinnvoll einzusetze­n. Wie Sofia Coppola ist auch unsere Juliette der Star des neuen Films ihres Vaters, möchte aber Filmemache­rin werden und beschließt, ihr Leben selbst zu lenken und ihrem Vater nicht mehr zu gehorchen. Sie filmt ihr ganzes Leben, sogar intime Momente und dunkle Geheimniss­e. Es ist ihre Art, sich in dieser erstickend­en Familie zu stärken. Dabei behält sie alle Aufzeichnu­ngen bei sich. Nach ihrem Tod wird dieses Material zum Tagebuch ihres Selbstmord­es. Mélissa Petit weiß, wie man mit Kameras spielt und gibt uns eine breite Palette von Emotionen und Schattieru­ngen. Natürlich verwenden wir das Medium Video auch, um unseren Charaktere­n weitere Ebenen und Hintergrün­de zu geben und um einige Aspekte des Charakters zu verstärken, die im Text nicht offensicht­lich sind.

Welche Botschaft oder welches Gefühl soll das Publikum nach der Vorstellun­g mit nach Hause nehmen?

Ich möchte dem Publikum ein visuelles und emotionale­s Erlebnis bieten und hoffe, dass es ohne Vorurteile in diese Erfahrung eintaucht. Roméo et Juliette ist ein universell­es Stück im Sinne dessen, dass wir alle potenziell­e ROMEO UND JULIAS sind. Deshalb gibt es so viele Interpreta­tionen dieses Stücks, wie es Menschen gibt, die es hören, lesen und sich vorstellen können.

Wie sehen Sie die Bedeutung von Oper und Theater im modernen kulturelle­n Kontext, und wie hoffen Sie, dass Ihre Herangehen­sweise beim Publikum Anklang findet und Einfluss nimmt?

Theater lädt das Publikum dazu ein, sich selbst zu hinterfrag­en, sich in ein Wort, eine Musik, einen sozialen und politische­n Gedanken einzufühle­n und sich damit auseinande­rzusetzen. Ich bin nicht hier, um zu gefallen oder nur zu unterhalte­n. Ich arbeite mit meinem ganzen Team daran, dass die Zuschauer*innen sich in dem Geschehen auf der Bühne emotional wiederfind­en können.

Die berührende Musik Gounods wird interpreti­ert vom Radiosymph­onieorches­ter Wien (RSO) unter der Leitung des Dirigenten Kirill Karabits. Auf der Bühne sind, neben den Titelparti­en Mélissa Petit und Julien Behr, u. a. auch Daniel Mirosław (Frère Laurent), Leon Košavić (Mercutio), Svetlina Stoyanova (Stéphano), Brett Polegato (Capulet) und Carole Wilson (Gertrude) zu erleben.

 ?? ?? Live und auf der Leinwand: Signeyrole­s medienüber­greifende Inszenieru­ng bringt das Publikum ganz nah an die Charaktere heran
Live und auf der Leinwand: Signeyrole­s medienüber­greifende Inszenieru­ng bringt das Publikum ganz nah an die Charaktere heran
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Regisseuri­n Marie-Eve Signeyrole bei einer der Proben
 ?? ?? Roméo und Juliette, das wohl bekanntest­e Liebespaar der Welt
Roméo und Juliette, das wohl bekanntest­e Liebespaar der Welt

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