Strenge Kammerspiele: Wer Probleme mit der Identität hat, kommt in die Gummizelle
Desaster: „James Brown trug Lockenwickler“von Yasmina Reza
Kritik. Direktor Herbert Föttinger sinnierte sicher lang, wem er die Regie überantworten könnte. Ihm war es geglückt, die Erstaufführung von Yasmina Rezas „James Brown trug Lockenwickler“, uraufgeführt Ende März 2023 im Residenztheater, für die Kammerspiele zu ergattern. In der Burg musste man sich ja, um auch Flagge zu zeigen, mit der Reza-Dramatisierung „Serge“behelfen. Und so nominierte Föttinger nach reiflicher Überlegung seine Ehefrau Sandra Cervik.
Zusammen mit Bühnenbildnerin Sabine Freude studierte sie eifrig den Text. Ihnen entging nicht, dass Reza zweimal den Hinweis „Kein Realismus“gibt. Ihnen entging auch nicht, dass ein Park der zentrale Schauplatz ist. Dort schaukelt zu Beginn Philippe, und dort pflanzt er mit viel Herz ein nicht endemisches Gewächs, einen illegalen Einwanderer, ein.
Folgerichtig verorten sie das gesamte Stück in einer Gummizelle. Wahrscheinlich haben sie zwischen den Zeilen herausgelesen, dass Jacob randalieren oder sich etwas antun könnte. Immerhin ist er ein äußerst sanftmütiges Wesen, das sich damit begnügt, der Sängerin Céline Dion nachzueifern. Und er komponiert auch ein Lied für seinen schaukelnden Freund Philippe, der sich mit den Opfern des französischen Kolonialismus identifiziert.
Die tiefschürfende Auseinandersetzung mit der Identitätsproblematik führt dazu, dass Julian Valerio Rehrl bei Cervik ein unschlagbar blasses Abziehbild im flatternden Seidenkleid verkörpern und die Psychiaterin im zu kurzen Kittel andauernd Perücken wechseln darf. Maria Köstlinger macht verzweifelt gute Miene zum bösen Spiel und geht neben Juergen Maurer unter: Er demonstriert mit stierem Blick grandios, was möglich gewesen wäre. Leider ist seine Rolle zu kein für 95 Minuten. Insgesamt ein Desaster.
KURIER-Wertung: ★ά★★★