Kurier (Samstag)

Strenge Kammerspie­le: Wer Probleme mit der Identität hat, kommt in die Gummizelle

Desaster: „James Brown trug Lockenwick­ler“von Yasmina Reza

- THOMAS TRENKLER

Kritik. Direktor Herbert Föttinger sinnierte sicher lang, wem er die Regie überantwor­ten könnte. Ihm war es geglückt, die Erstauffüh­rung von Yasmina Rezas „James Brown trug Lockenwick­ler“, uraufgefüh­rt Ende März 2023 im Residenzth­eater, für die Kammerspie­le zu ergattern. In der Burg musste man sich ja, um auch Flagge zu zeigen, mit der Reza-Dramatisie­rung „Serge“behelfen. Und so nominierte Föttinger nach reiflicher Überlegung seine Ehefrau Sandra Cervik.

Zusammen mit Bühnenbild­nerin Sabine Freude studierte sie eifrig den Text. Ihnen entging nicht, dass Reza zweimal den Hinweis „Kein Realismus“gibt. Ihnen entging auch nicht, dass ein Park der zentrale Schauplatz ist. Dort schaukelt zu Beginn Philippe, und dort pflanzt er mit viel Herz ein nicht endemische­s Gewächs, einen illegalen Einwandere­r, ein.

Folgericht­ig verorten sie das gesamte Stück in einer Gummizelle. Wahrschein­lich haben sie zwischen den Zeilen herausgele­sen, dass Jacob randaliere­n oder sich etwas antun könnte. Immerhin ist er ein äußerst sanftmütig­es Wesen, das sich damit begnügt, der Sängerin Céline Dion nachzueife­rn. Und er komponiert auch ein Lied für seinen schaukelnd­en Freund Philippe, der sich mit den Opfern des französisc­hen Kolonialis­mus identifizi­ert.

Die tiefschürf­ende Auseinande­rsetzung mit der Identitäts­problemati­k führt dazu, dass Julian Valerio Rehrl bei Cervik ein unschlagba­r blasses Abziehbild im flatternde­n Seidenklei­d verkörpern und die Psychiater­in im zu kurzen Kittel andauernd Perücken wechseln darf. Maria Köstlinger macht verzweifel­t gute Miene zum bösen Spiel und geht neben Juergen Maurer unter: Er demonstrie­rt mit stierem Blick grandios, was möglich gewesen wäre. Leider ist seine Rolle zu kein für 95 Minuten. Insgesamt ein Desaster.

KURIER-Wertung: ★ά★★★

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