Kurier (Samstag)

(K)ein Plan für den „Tag danach“

Israels Premier bleibt dabei: kein unabhängig­er Staat den Palästinen­ser. Sein Plan ist scharf im Ton, aber unkonkret in der Auslegung. Das verspricht wenig Gutes

- AUS TEL AV|V NORBERT JESSEN

Nach vier Kriegsmona­ten und mehreren westlichen und arabischen Regierunge­n legte jetzt auch Israels Premier Benjamin Netanjahu einen Plan für den „Tag nach dem Krieg“vor: ein entmilitar­isierter Gazastreif­en unter israelisch­er Sicherheit­skontrolle; als Zivilregie­rung sollen „lokale Elemente mit Verwaltung­serfahrung“die Hamas-Machthaber ablösen; das Flüchtling­shilfswerk UNRWA soll aufgelöst werden.

Gefordert wird ebenfalls ein Sicherheit­sstreifen längs der Grenze zu Israel wie die direkte Kontrolle der Grenzsperr­en zu Ägypten. Nicht ausdrückli­ch erwähnt wird die Palästinen­sische Autonomieb­ehörde (PA). Ihre staatliche Anerkennun­g wird jedoch ausdrückli­ch abgelehnt.

„Solang wie notwendig“sollen diese Sicherheit­sbedingung­en gültig bleiben. Eine gezielt ungenaue Wortwahl, wie Netanjahu sie bevorzugt. Schroff im Ton, offen für Auslegunge­n. Genauso schroff fiel auch die Ablehnung der PA aus. Die erwartet für den „Tag danach“einen unabhängig­en palästinen­sischen Staat mit der Hauptstadt Ost-Jerusalem. „Jeder andere Plan ist zum Scheitern verurteilt“, so PARegierun­gssprecher Nabil Abu Rudeina. Für die Hamas sei der Plan eine „Neubesetzu­ng des Gazastreif­ens“.

Aus Jerusalem hieß es, der Plan sei als Vorschlag für kommende Verhandlun­gen gedacht. Wobei die Vorstellun­g einer israelisch­en Grenzpräse­nz in Ägypten keine Begeisteru­ng auslösen dürfte. In Washington wiederum ist hinter den Kulissen seit Wochen von umfassende­ren „regionalen“Plänen zu hören. Sie sollen die Golfstaate­n und Saudi-Arabien mit in den Wiederaufb­au Gazas einbeziehe­n. Was ohne einen palästinen­sischen Staat am Ende unvorstell­bar wäre. Für Joe Biden wäre das der lang gesuchte außenpolit­ische Vorzeigeer­folg im kommenden Wahlkampf.

Doch Netanjahu setzte im Parlament mit großer Mehrheit die Ablehnung einer „einseitige­n Anerkennun­g eines palästinen­sischen Staates infolge internatio­nalen Drucks“durch. Wieder schroff im Wort, doch butterweic­h in der Auslegung: Beidseitig und ohne weltweiten Druck könnte eine Anerkennun­g also doch gehen?

Keine Lust auf Abwahl

Netanjahu schiebt wie so oft wichtige Entscheidu­ngen vor sich her. So lang wie möglich will er seine jetzige Koalition halten. Das führt ihn ins Dilemma: entweder in die Spaltung seiner Koalition – mit drohenden Neuwahlen – oder in den offenen Konflikt mit dem US-Präsidente­n, der bisher treu an der Seite Israels steht, obwohl er den Premier des Landes nicht ausstehen kann.

Die erwähnte De-Radikalisi­erung dürfte global auf ein positivere­s Echo stoßen. Sie wäre aber eine langfristi­ge erzieheris­che Maßnahme ohne sofortige Wirkung. Mit „lokaler Zivilverwa­ltung“hingegen hat Israel schon mehrfach Erfahrungs­werte sammeln können – und die waren alles andere als positiv. Letztlich geht es dabei um die allgegenwä­rtigen Großfamili­en: die Clans.

Doch gerade sie wären es, die abgesehen von PA und UNRWA so etwas wie „zivile Verwaltung­serfahrung“vorweisen könnten. Im Krieg bestand sie bisher darin, Lkw mit humanitäre­r Hilfe für die Zivilbevöl­kerung zu überfallen, sofern diese von den Raubzügen der schwarz uniformier­ten Hamas-Kämpfer verschont geblieben waren. Die Güter verkaufen die Clans dann gewinnbrin­gend auf dem Schwarzmar­kt.

Gazas Zukunft „am Tag danach“bleibt nach Netanjahus Plan, wie sie ist: schwarz und bewaffnet.

 ?? ?? Das Flüchtling­slager Jabalia im Norden Gazas: Noch ist ein Ende des Krieges nicht absehbar, geschweige denn ein „Tag danach“
Das Flüchtling­slager Jabalia im Norden Gazas: Noch ist ein Ende des Krieges nicht absehbar, geschweige denn ein „Tag danach“

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