Kurier (Samstag)

Japaner ist, wer japanisch aussieht

Der Fall der in der Ukraine geborenen „Miss Japan“zeigt ein Problem der japanische­n Gesellscha­ft auf. Das Land liegt im globalen Rassismus-Ranking auf Platz drei

- VON JOHANNES ARENDS UND MARCO XIA

Inmitten der Hochhäuser von Tokio liegt eine völlig andere Welt versteckt. Das Barviertel Golden Gai, im Herzen des Bezirks Shinjuku, ist eine der beliebtest­en Touristena­ttraktione­n der japanische­n Hauptstadt. Besucher drängen sich durch die engen Gassen voller winziger, aneinander­gezwängter Bars, knipsen Fotos der ausgefalle­nen Schilder. Doch manche Bar macht klar, dass sie hier nicht willkommen sind. An etwa jeder dritten Tür steht der Satz: „Nur für Japaner.“

Ein Satz, dem man im japanische­n Alltag immer wieder begegnet. Besonders im Nachtleben, aber auch beim Besuch traditione­ller Thermalbäd­er, der sogenannte­n Onsen. Die Definition, wer als Japaner zählt und wer nicht, lässt sich dabei selten anhand von Dokumenten festmachen. Meist zählt, das zeigen Beispiele der Vergangenh­eit, das Aussehen.

Badehaus-Klage

Einer der berühmtest­en Fälle eines Staatsbürg­ers, dem der Zutritt in einen Onsen „nur für Japaner“verwehrt wurde, ist der des Aktivisten Debito Arudou. Ursprüngli­ch als David Schofill in Kalifornie­n geboren, zog Arudou in den 1980er-Jahren nach Japan. Im Jahr 2000 erhielt er die Staatsbürg­erschaft.

Nur Monate später wurde Arudou mit seiner japanische­n Frau und seinen japanische­n Kindern an der Tür eines Onsens auf der Insel Hokkaido abgelehnt. Der Betreiber erklärte ihm, dass er ihn zwar als Japaner anerkenne, sein „ausländisc­hes Aussehen“aber andere Besucher verscheuch­en könnte. Arudou verklagte das Badehaus – und bekam Recht. Seither ist er eines der bekanntest­en Gesichter der Antirassis­musBewegun­g in Japan.

Eine Studie des Londoner King’s College bewertete im Vorjahr das Ausmaß von Rassismus in 24 Ländern. Japan belegte dabei den dritten Platz, nach Iran und Russland. Die Teilnehmer wurden unter anderem gefragt, ob sie gerne einen Ausländer als Nachbarn hätten.

Erst vor vier Wochen erstattete­n drei im Ausland geborene Japaner Anzeige gegen die Polizei wegen Racial Profiling, also der Praxis, Personen aufgrund ihrer Ethnie zu verdächtig­en. Ein in Indien geborener Kläger berichtete, dass ein Polizist eine Verkehrsko­ntrolle damit begründet habe, es sei „selten, einen Ausländer beim Autofahren zu sehen“.

„Abfärbende Haut“

Bekannt sind auch die Diskrimini­erungserfa­hrungen von Japanern mit nur einem ausländisc­hen Elternteil, sogenannte „Hafus“– abgeleitet vom englischen Wort „half “. Zuletzt erklärte etwa der 21jährige, schwarze Nationalto­rhüter Zion Suzuki, er sei nach dem Ausscheide­n bei der Fußball-Asienmeist­erschaft im Jänner von Fans online rassistisc­h beleidigt worden. Das Model Ariana Miyamoto, Tochter eines Japaners und einer Afroamerik­anerin, gewann 2015 als erste „Hafu“die Miss-JapanWahl. Bei Medienauft­ritten sprach sie anschließe­nd davon, dass ihre Mitschüler sie jahrelang nicht berührt hatten – aus Angst, ihre dunkle Haut könnte abfärben.

Auch in diesem Jahr war die Miss-Japan-Wahl der Auslöser einer nationalen Rassismusd­ebatte. Mit Karolina Shiino gewann zum ersten Mal eine im Ausland geborene Frau. Sie war 2002 mit ihren Eltern aus der Ukraine nach Japan gezogen – und habe seither aufgrund ihres europäisch­en Aussehens mit „Barrieren“zu kämpfen gehabt, „die mich oft daran hinderten, als Japanerin akzeptiert zu werden“, sagte Shiino nach ihrem Sieg unter Tränen.

Doch die Geschichte sollte kein Happy End haben. Nach einem medialen Aufschrei gruben sich Boulevardm­edien in Shiinos Privatlebe­n und deckten eine Affäre mit einem verheirate­ten Mann auf. Sie verlor ihren Titel. Ob je eine der vorhergehe­nden, autochthon-japanische­n Siegerinne­n außereheli­che Beziehunge­n pflegten, ist nicht bekannt. Fest steht aber: Nie wurde so genau hingesehen wie bei Shiino; nie hatte eine Vorgängeri­n ihre Krone abgeben müssen.

 ?? ?? Tokios Barviertel Golden Gai lockt täglich Trinklusti­ge an. Doch etliche Bars haben nur für jene geöffnet, die sie für Japaner halten
Tokios Barviertel Golden Gai lockt täglich Trinklusti­ge an. Doch etliche Bars haben nur für jene geöffnet, die sie für Japaner halten
 ?? ?? „Miss Japan“Karolina Shiino ist gebürtige Ukrainerin
„Miss Japan“Karolina Shiino ist gebürtige Ukrainerin

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