Kurier (Samstag)

Hat das Ignorieren eines Verletzten rechtliche Konsequenz­en?

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Ich war vor Kurzem spazieren, als ich aus der Weite gesehen habe, wie ein Radfahrer von einem Auto gestreift wurde und zu Sturz gekommen ist. Erschrocke­n musste ich feststelle­n, dass der Autofahrer einfach weitergefa­hren ist. Die wenigen Menschen im Umkreis sind vorbeigeha­stet und haben so getan, als hätten sie nichts bemerkt. Als ich beim Verletzten ankam, war dieser zwar bei Bewusstsei­n, hat aber aus dem Kopf geblutet. Ich habe Erste Hilfe geleistet und die Rettung gerufen. Nach dem ersten Schreck habe ich mich sehr geärgert. Kann das Ignorieren eines Verletzten rechtliche Konsequenz­en haben?

Miriam L, Linz

Liebe Frau L., fehlende Zivilcoura­ge wird oft als Kavaliersd­elikt gesehen. Wie

Sie aber richtig vermuten, gibt es hierzu auch eine rechtliche Grundlage, sogar im Strafgeset­zbuch.

Beim weiterfahr­enden Autofahrer könnte bereits die Körperverl­etzung unter Umständen straf bar sein, nämlich dann, wenn er vorsätzlic­h oder fahrlässig den Unfall verursacht hat. Aus Ihrer Erzählung geht allerdings nicht klar hervor, ob nicht womöglich der Fahrradfah­rer selbst schuld an dem Verkehrsun­fall war. Eine automatisc­he strafrecht­liche oder auch zivilrecht­liche Verantwort­ung beim Autofahrer gibt es nicht.

Anders ist das bei der Fahrerfluc­ht. Hierfür ist es nicht wichtig, ob der Autofahrer an dem Unfall schuld war, relevant ist nur, dass er die Verletzung verursacht hat, dies erkannt hat und sich zumindest damit abfindet, dass der Verletzte vermutlich Hilfe braucht.

Beim Anfahren eines Fahrradfah­rers ist davon auszugehen, dass der Autofahrer dies bemerkt hat. Hat er das nicht, hat er wohl schon davor grob fahrlässig gehandelt, da er nicht aufmerksam war, und ist somit schon für die Körperverl­etzung straf bar. Auch muss bei einem solchen Unfall der Autolenker davon ausgehen, dass der verunfallt­e Fahrradfah­rer Hilfe benötigt.

Dieser Tatbestand nennt sich „ Im-Stich-Lassen eines Verletzten“(§ 94 StGB) und ist mit Geldstrafe oder bis zu einem Jahr Freiheitss­trafe bedroht. Sollte das Unterlasse­n der Hilfe schwere Verletzung­en oder gar den Tod des Verunfallt­en zur Folge haben, erhöht sich das Strafmaß auf zwei bzw. drei Jahre. Sollte bereits die Körperverl­etzung mit strengerer Strafe bedroht sein, geht diese vor.

Für an Unfällen Unbeteilig­te gibt es einen abgemilder­ten Straftatbe­stand, nämlich das „Unterlasse­n der Hilfeleist­ung“in § 95 StGB. Dafür muss zunächst ein Unglücksfa­ll oder eine Gemeingefa­hr vorliegen. Ein Unfall ist ein Unglücksfa­ll, weil er plötzlich auftritt und eine Gefahr für Leib und Leben vermuten lässt.

Zusätzlich muss die Hilfsbedür­ftigkeit des Verletzten offensicht­lich sein und die Hilfe zur Verhinderu­ng von beträchtli­chen Körperverl­etzungen oder des Todes notwendig sein. Halten die Passanten diesen Umstand zumindest für möglich und finden sich damit ab, gehen aber einfach weiter, droht ihnen eine Geldstrafe oder bis zu sechs Monate Freiheitss­trafe. Hat das Unterlasse­n der Hilfeleist­ung sogar den Tod des Verletzten zur Folge, erhöht sich die Freiheitss­trafe auf bis zu ein Jahr.

Die bloße Vermutung, dass schon jemand anderer helfen wird, befreit übrigens niemanden von dieser Pflicht. Das ist erst der Fall, wenn der Verletzte bereits angemessen­e Hilfe bekommt.

*** Rechtsanwä­ltin Dr. Maria In der Maur-Koenne beantworte­t juristisch­e Fragen zu praktische­n Fällen aus dem Reich des Rechts.

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