Kurier (Samstag)

„Ich habe meine Erfolge nie richtig genossen“

Selbstzwei­fel waren lange Begleiter des Osttiroler Radprofis. Mit dem Sieg bei der Königsetap­pe der Tour de France etablierte sich der 25-Jährige in der Weltspitze und wurde zum Teamleader befördert

- VON CHRISTOPH GEILER

Es mag schon etwas heißen, wenn ein Radfahrer in Österreich einmal zum Sportler des Jahres gewählt wird. Felix Gall war im Jahr 2023 freilich auch so etwas wie der Senkrechts­tarter des internatio­nalen Radsports. Der Osttiroler, der am Dienstag seinen 26. Geburtstag feiert, gewann im vergangene­n Sommer die Königsetap­pe der berühmten Tour de France und beendete seine erste Frankreich-Rundfahrt auf dem achten Platz. Dazu feierte der Kletterspe­zialist noch einen Etappensie­g bei der Tour de Suisse.

In seiner französisc­hen „Decathlon AG2R La Mondiale“-Mannschaft stieg Gall inzwischen in den Rang des Teamleader­s auf, der als Kapitän in die Tour de France im Sommer gehen soll. „Ich bin stärker als im Vorjahr“, kündigt der Radprofi an.

***

KURIER:

Wie blicken Sie auf das Jahr 2023 zurück?

Felix Gall: Es hat schon einige Zeit gebraucht, bis ich richtig kapiert habe, was alles passiert ist. Im Dezember habe ich ganz bewusst innegehalt­en und 2023 noch einmal für mich Revue passieren lassen. Das war auch wichtig. Während der Saison habe ich teilweise richtig Probleme gehabt, alles zu realisiere­n und meine Leistungen richtig einzuordne­n.

Wie kann man das verstehen?

Ich hatte Probleme damit, zu mir zu sagen: ‚Hey, das war jetzt wirklich gut, was du da gemacht und geleistet hast. Du kannst echt stolz auf dich sein.‘

Warum ist Ihnen das schwergefa­llen?

Während so einer Tour de France bleibt keine Zeit zum Nachdenken. Da brauchst du schon ein wenig Abstand, um alles einzuordne­n. Ich war aber grundsätzl­ich schon immer einer, der mit sich nur selten richtig zufrieden war. Das war auch schon nach Erfolgen im Nachwuchs so.

Das heißt, Sie sind selbstkrit­isch und gehen hart mit sich ins Gericht?

Ich habe in Wahrheit meine Erfolge nie so richtig genossen. Weil ich immer schon das nächste Ziel im Auge hatte. Außerdem habe ich mir Erfolge und Siege oft auch nicht selbst zugeschrie­ben, sondern das Team in den Vordergrun­d gerückt. Ich habe mir jetzt bewusst vorgenomme­n, dass ich die Erfolge in Zukunft mehr genießen will.

War der Etappensie­g bei der Tour de France für Sie ein Befreiungs­schlag oder verspüren Sie dadurch eine Bürde?

Ich merke schon, dass ich heute deutlich mehr Selbstbewu­sstsein habe. Auch im Umgang mit den Teamkolleg­en, ich genieße innerhalb der Mannschaft ein viel größeres Vertrauen. Zugleich traue ich mir auch selbst mehr zu. Dass die Ansprüche von außen steigen, ist mir klar. Auch meine Erwartungs­haltung ist heute eine andere, weil ich weiß, was ich geschafft habe und was alles möglich ist.

Sind die Selbstzwei­fel also verflogen, die Sie während Ihrer Karriere so lange begleitet haben?

Ich bin der Meinung, dass man sich immer hinterfrag­en sollte. Aber es ist heute nicht mehr so, wie vor einem Jahr. Da habe ich mich wirklich vor jedem Rennen gefragt: Wird das was? Kann ich das? Bin ich gut genug? Hab ich es drauf?

Ihr Team hat offenbar deutlich mehr in Ihnen gesehen: Sie wurden während Ihrer ersten Tour de France gleich zum Kapitän befördert.

Das Team hat schon früh großes Vertrauen in mich gesetzt. Ich hatte schon im letzten Jahr gewisse Freiheiten.

Heuer wurde der Rennkalend­er mit mir abgestimmt, es ist alles auf die Tour de France ausgericht­et. Ich werde als Teamleader in die Tour gehen, das Team hat da keine Zweifel. Fertig. Aus.

Wie hat die Konkurrenz auf Sie reagiert? Genießen Sie inzwischen mehr Respekt?

Nach der Tour de France habe ich schon gemerkt, dass es einfacher war, mich im Feld zu bewegen und auf mich auch geschaut wurde. Da habe ich schon deutlich mehr Respekt gespürt. Das hängt wahrschein­lich auch damit zusammen, dass ich meinen Etappensie­g bei der Tour de France nicht zufällig oder durch Glück gefeiert habe. Sondern durch meine reine Stärke in einer Bergetappe. Und ich habe die Leistungen später dann ja auch noch öfter bestätigt.

Nach dem Etappensie­g und Platz acht in der Gesamtwert­ung im Vorjahr: Wo soll die Reise hingehen?

Die Tour bleibt das große Ziel. Der achte Platz aus dem letzten Jahr ist für mich die Orientieru­ng. Ich werfe aber auch einen Blick auf die Weltrangli­ste, da möchte ich über das Jahr schon eine gewisse Konstanz haben und regelmäßig­er vorne dabei sein. Und ich will besser in die Saison starten als 2023 und dann auch nach der Tour noch performen. Das war im letzten Jahr alles ein wenig hektisch und stressig.

Wo ist noch Luft nach oben? Sie sind nicht der begnadetst­e Zeitfahrer.

Das Zeitfahren ist sicher die größte Baustelle. Wir haben über den Winter in dieser Richtung viel getestet. Ich habe eine neue Zeitfahrma­schine, ich habe auch eine neue Position auf dem Fahrrad und fühle mich deutlich besser. Ich werde bestimmt nicht zu den Favoriten beim Zeitfahren zählen, aber ich sollte normal nicht mehr so viel Zeit verlieren wie bisher.

Abschließe­nd: Wie begehrt waren Sie eigentlich nach den Erfolgen 2023?

Es haben sich bei mir schon einige Teams und Fahrer gemeldet, aber richtig konkrete Angebote hat es keine gegeben. Für mich hat sich die Frage auch nicht wirklich gestellt: Ich fühle mich in diesem Team wohl, ich genieße ein enormes Vertrauen und hatte auch nie die Motivation, wegzugehen. Da geht es auch um Dankbarkei­t. Mir ist bewusst, was mir dieses Team in den letzten Jahren alles ermöglicht hat.

 ?? ?? Aufstieg: Radprofi Felix Gall wurde 2023 Österreich­s Sportler des Jahres
Aufstieg: Radprofi Felix Gall wurde 2023 Österreich­s Sportler des Jahres
 ?? ?? Sportler des Jahres: Felix Gall bei der Wahl i m Herbst 2023
Sportler des Jahres: Felix Gall bei der Wahl i m Herbst 2023

Newspapers in German

Newspapers from Austria