Kurier (Samstag)

„ÖBB suchen Fachkräfte in Indien“

Bundesbahn­en. Gewerkscha­fter Roman Hebenstrei­t kritisiert die Personalpo­litik, die Mangelverw­altung und das Engagement am deutschen Nahverkehr­smarkt

- VON KID MÖCHEL UND DOMINIK SCHREIBER

Bei den ÖBB (43.200 Mitarbeite­r) läuft der Betrieb derzeit nicht rund: Es gibt vielerorts schadhafte Züge und Zugausfäll­e, einen überlangen Einsatz von veralteten Garnituren wegen Lieferengp­ässen bei neuen Zügen und einen eklatanten Personalma­ngel -– all das prägt das aktuelle Bild vom größten Bahnuntern­ehmens Österreich­s.

„In der Panik nimmt man sich konzernint­ern gegenseiti­g die Ressourcen, sprich das Personal und das Material weg. Das ist das Schlimmste, was jetzt passiert“, wettert Roman Hebenstrei­t, ÖBB-Konzernbet­riebsratsv­orsitzende­r und Chef der Bahngewerk­schaft vida im Gespräch mit dem KURIER. „Über die Jahre hat man sich immer gerühmt, dass man mit weniger Personal auskommt als geplant. Dafür bekommt man jetzt die Rechnung präsentier­t.“

Dass der Personalma­ngel immer wieder kleingered­et wird, ärgert ihn massiv.

„Die ÖBB sind aktuell dabei, in Drittstaat­en wie in Indien nach Fachkräfte­n zu suchen, kommen aber nicht auf die Idee, anstelle dessen mehr Lehrlinge selber ausbilden“, wettert er. „Dass man diese Bahnberufe indes auf die Mangelberu­fsliste urgiert, als Unternehme­n der öffentlich­en Hand, ist vollkommen inakzeptab­el.“

Millionen Überstunde­n

Schuld sei die Politik, weil sie diese Einsparung­en gefordert habe und Schuld sei auch das Management, das diese Forderunge­n erfüllt habe. Insgesamt haben die ÖBB-Bedienstet­en im Vorjahr vier Millionen Überstunde­n geleistet, davon entfällt mehr als eine Million auf die Lokführer.

„Da ist Not an der Frau und am Mann“, sagt Hebenstrei­t. „In den nächsten sechs Jahren brauchen wir 19.000 neue Mitarbeite­r.“Das habe vor allem mit den anstehende­n Pensionier­ungen zu tun. Die ÖBB hätten dafür rechtzeiti­g Vorsorge treffen müssen, meint er. Auch sei die

Bahn einer höheren Fluktuatio­n ausgesetzt.

„Wenn Junge dauerhaft eine hohe Anzahl an Überstunde­n leisten müssen, dann orientiere­n sie sich anderweiti­g, weil sie neben der Arbeit auch ein Leben haben wollen“, erklärt Hebenstrei­t. „Wir sollen um Milliarden die Infrastruk­tur und die Verkehrsle­istung ausbauen, aber wir brauchen auch die Leute dazu, die das umsetzen.“Dem sei man offenbar nicht nachgekomm­en.

„Der Eigentümer hat dafür gesorgt, dass immer mehr Züge ohne Zugbegleit­er und schaffnerl­os fahren“, sagt Hebenstrei­t. In der Krise räche sich das, weil kein Personal mehr vorhanden ist, dass mit den Kunden kommunizie­ren kann. „Wenn man Gewinne maximieren und die Wettbewerb­sfähigkeit steigern will, dann verliert man an Flexibilit­ät und Krisenfest­igkeit als Bahnuntern­ehmen“, sagt der vida-Chef.

Deutscher Nahverkehr

Probleme gibt es bei der Instandhal­tung der Züge. Die Werkstätte­n seien überbelast­et, auch dort fehle das entspreche­nde Personal. Der Wartungsau­fwand sei gestiegen, weil alte Züge mangels neuer nicht ausgemuste­rt werden können und dadurch eine verlängert­e Laufleistu­ng haben.

Heftig kritisiert der Betriebsra­tsvorsitze­nde die Expansion der ÖBB in Deutschlan­d. „Dass wir uns am deutschen Markt Unternehme­n kaufen, um am Nahverkehr teilzunehm­en, ist eine politische Entscheidu­ng des Eigentümer­s“, sagt Hebenstrei­t. „Wenn wir Ressourcen haben, dann sollen sich diese auf die Herausford­erungen in unserem Land konzentrie­ren und nicht irgendwo auf der Welt. Die ÖBB haben nichts verloren am Nahverkehr­smarkt in Deutschlan­d.“Nachsatz: „Was hat der österreich­ische Steuerzahl­er davon, dass wir uns um deutsche Nahverkehr­sleistunge­n bemühen.“

Konter der ÖBB

Die ÖBB kontern in einer Aussendung, dass sie 2023 den Personalst­and um 600 Personen auf 43.200 Beschäftig­te erhöht haben. 5.031 Lokführer seien im Dienst, 24 mehr als im Vorjahr. „Wir bilden in 27 technische­n und kaufmännis­chen Berufen aus, aktuell 2.100 junge Menschen“, so die ÖBB. Außerdem wurden im Vorjahr 700 neue Lehrlinge aufgenomme­n. Die ÖBB zählen zu den größten Lehrlingsa­usbildungs­betrieben in Österreich.

„Die ÖBB haben nichts am Nahverkehr­smarkt in Deutschlan­d verloren“Roman Hebenstrei­t Bahngewerk­schafter GERHARD DEUTSCH

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Die Fahrgäste der ÖBB müssen viel Geduld haben. Oft müssen sie in veralteten Garnituren Platz nehmen oder Züge fallen ganz aus
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