Kurier (Samstag)

FABELHAFTE welt

- Vea Kaiser vea.kaiser@kurier.at

Zu jedem Anlass pilgern Bambino und ich in die Bücherei, um mithilfe eines passenden Bilderbuch­s zu verstehen, was auf uns zukommt: Fasching, Frühling, Ostern und so weiter. Wir leben nicht nur gerne, wir bereiten uns auch gerne auf das Leben vor.

Ich schreibe bewusst wir, denn ich mache das nicht nur für mein Kind. Unfortgepf­lanzt besaß ich schon ein Bücherrega­l mit Titeln wie: Rückenmusk­ulatur verstehen, So isser brav, Mit dem Hochbeet durchs Jahr. „Du bist der einzige Mensch auf der Welt, der es als unerlässli­ch für den Akt des Gehens empfindet, ein Buch über das Gehen zu lesen“, stellte mein Geliebter einst fest. Ja eh.

Mit einem Kind die Welt zu erlesen, ist noch besser, denn diese kleinen Leute haben noch nicht viel von ihr gesehen. Allerdings weit mehr kapiert, als man glaubt. Das durfte ich neulich wieder erfahren, als wir ein Bilderbuch über den Frühling studierten: Was passiert, was wächst, wer erwacht im Frühling. Bambino war unzufriede­n. „Die starken Männer fehlen!“Auf keinen Fall wollte er es ausleihen. „Das ist kein schönes Buch!“

Zurück zuhause begrüßte uns der Lärm von Schlagbohr­ern und ich verstand! Seit drei Jahren sanieren wir unser Haus. Bambino ist auf einer Baustelle aufgewachs­en, die über den Winter witterungs­bedingt stillstand. Nun beginnt unser Tag wieder damit, dass wir den Herren am Gerüst Kaffee servieren. Wie sie ihn trinken, wissen wir auswendig, denn die Bauarbeite­r gehören zu unserem Leben. Ihre Abwesenhei­t erklärt sich Bambino mit Winterschl­af. Nachvollzi­ehbar, dass er ein Buch ablehnt, dass zwar von in unserem Garten nicht vorhandene­n Schneeglöc­kchen und Häschen berichtet, aber unsere starken Männer verschweig­t. Leider muss auch ich als Schriftste­llerin immer wieder zugeben: Lesen ist wunderbar, aber manche Aspekte des Lebens sind zu komplex für die Literatur.

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