Schweiz träumt von 13. Monatspension Eine zusätzliche Monatsrente dürfte angenommen, eine Erhöhung des Pensionsalters abgelehnt werden. „Zeitenwende“beim liberalen Nachbarn?
Eine Insel der Seligen für alle Wirtschaftsliberalen, für fleißige, wohlhabende Bürger mit Demokratiebewusstsein, die ihre Zukunft lieber selbst in die Hand nehmen als sie einem überregulierenden Staat zu überlassen. So sieht sich die Schweiz gerne, und noch mehr wird sie so von außen gesehen.
Am Sonntag jedoch dürfte mit einer Mehrheit von 53 bis 59 Prozent eine Initiative des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes angenommen werden: die Einführung einer 13. AHV-Rente – das ist die Minimalpension zur Absicherung der Grundexistenz. „Eine Art Zeitenwende“, schreibt die Süddeutsche; die konservative Neue Züricher Zeitung fragt, ob nun ein „Ende des liberalen Sonderfalls“drohe.
Denn tendenziell neigen die Eidgenossen eher dazu, gegen alles zu stimmen, was sie etwas kosten könnte – selbst wenn es die Lebensqualität erheblich verbessern würde. Den Vaterschaftsurlaub von gerade einmal zwei Wochen gibt es erst seit 2021; eine sechste Urlaubswoche für alle lehnten die Schweizer 2012 ab – genauso wie den ersten Versuch einer Erhöhung der AHV-Pension 2016.
Historische Initiative
Es wäre außerdem historisch, würde eine Initiative der Gewerkschaft angenommen. Die begründet ihre Forderung mit „höheren Ausgaben für Miete, Krankenkassenbeiträge, Strom und Lebensmittel“. Regierung und Parlament, die die Erhöhung ablehnen, sprechen von einer „verschwenderischen Gießkannen-Maßnahme“, die jährlich vier bis fünf Milliarden Franken zusätzlich kosten würde. Noch fehlt ein Plan zur Finanzierung. „Das muss ein Land wie die Schweiz einfach aufbringen“, widerspricht ein Befürworter.
Neben der Einführung einer 13. Monatspension steht auch eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters (von 65 auf 66 Jahre, danach gemäß der durchschnittlichen Lebenserwartung) zur Abstimmung. Doch das dürften die eigentlich als so arbeitsam geltenden Schweizer eindeutig – mit fast zwei Drittel Nein-Stimmen – ablehnen.
Die Debatte um eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters gibt es überall, in Frankreich zündeten Protestierende deswegen vor einem Jahr Mistkübel und Autos an. Die Schweiz liegt mit ihren 65 Jahren im europäischen Mittelfeld, einzelne
Länder (Niederlande, Spanien, Deutschland) heben bereits langsam auf 67 Jahre an. Begründung: der demografische Wandel. Die schrumpfende arbeitende Bevölkerung könne mit ihren Beiträgen die vielen Pensionen nicht mehr finanzieren.
Ziel: Weniger Arbeitslose
Doch auch Wifo-Ökonomin Christine Mayrhuber gibt bei einer Anhebung zu bedenken: „Es braucht zur Änderung der Altersgrenzen auch Veränderungen am Arbeitsmarkt – etwa, indem man Menschen, die nahe am Pensionsantrittsalter, aber aus dem Arbeitsmarkt schon ausgeschieden sind, wieder eingliedert.“ Ältere Arbeitnehmer, die kurz vor ihrem Pensionsantritt den Job verlieren, belasten nahezu alle europäischen Länder – und sind teuer.
Eine erfolgreiche WiederIntegration in den Arbeitsmarkt wäre dreifach sinnvoll: „Durch längere Erwerbstätigkeit würden die Menschen mehr verdienen, ihren Pensionsanspruch erhöhen und weiter Beiträge einzahlen.“An dieser Schraube müsse gedreht werden. Ansonsten ziehe eine Erhöhung des Antrittsalters „nur Arbeitslose nach sich, man verschiebt damit lediglich die Kosten in die Arbeitslosenversicherung. Der Finanzierung des
Pensionssystems ist jedoch nichts Gutes getan“, so die Ökonomin.
Generell, betont Mayrhuber, sei das Pensionsantrittsalter ja nur eine Mindestgrenze. „Die Gruppe jener Menschen, die trotz des entsprechenden Alters weiterarbeiten will, nimmt zu.“
Es scheint, als seien die Schweizer bereit, für ein (Über-)Leben in der Pension und eine berufliche Tätigkeit im Alter ein wenig ihres wirtschaftsliberalen Rufs zu opfern. Zu einem starken „Nanny State“, wie Gegner der 13. AHV-Monatspension befürchten, wird die Eidgenossenschaft damit aber noch lange nicht.