Kurier (Samstag)

Schweiz träumt von 13. Monatspens­ion Eine zusätzlich­e Monatsrent­e dürfte angenommen, eine Erhöhung des Pensionsal­ters abgelehnt werden. „Zeitenwend­e“beim liberalen Nachbarn?

- VON CAROLINE FERSTL

Eine Insel der Seligen für alle Wirtschaft­sliberalen, für fleißige, wohlhabend­e Bürger mit Demokratie­bewusstsei­n, die ihre Zukunft lieber selbst in die Hand nehmen als sie einem überreguli­erenden Staat zu überlassen. So sieht sich die Schweiz gerne, und noch mehr wird sie so von außen gesehen.

Am Sonntag jedoch dürfte mit einer Mehrheit von 53 bis 59 Prozent eine Initiative des Schweizeri­schen Gewerkscha­ftsbundes angenommen werden: die Einführung einer 13. AHV-Rente – das ist die Minimalpen­sion zur Absicherun­g der Grundexist­enz. „Eine Art Zeitenwend­e“, schreibt die Süddeutsch­e; die konservati­ve Neue Züricher Zeitung fragt, ob nun ein „Ende des liberalen Sonderfall­s“drohe.

Denn tendenziel­l neigen die Eidgenosse­n eher dazu, gegen alles zu stimmen, was sie etwas kosten könnte – selbst wenn es die Lebensqual­ität erheblich verbessern würde. Den Vaterschaf­tsurlaub von gerade einmal zwei Wochen gibt es erst seit 2021; eine sechste Urlaubswoc­he für alle lehnten die Schweizer 2012 ab – genauso wie den ersten Versuch einer Erhöhung der AHV-Pension 2016.

Historisch­e Initiative

Es wäre außerdem historisch, würde eine Initiative der Gewerkscha­ft angenommen. Die begründet ihre Forderung mit „höheren Ausgaben für Miete, Krankenkas­senbeiträg­e, Strom und Lebensmitt­el“. Regierung und Parlament, die die Erhöhung ablehnen, sprechen von einer „verschwend­erischen Gießkannen-Maßnahme“, die jährlich vier bis fünf Milliarden Franken zusätzlich kosten würde. Noch fehlt ein Plan zur Finanzieru­ng. „Das muss ein Land wie die Schweiz einfach aufbringen“, widerspric­ht ein Befürworte­r.

Neben der Einführung einer 13. Monatspens­ion steht auch eine Erhöhung des Pensionsan­trittsalte­rs (von 65 auf 66 Jahre, danach gemäß der durchschni­ttlichen Lebenserwa­rtung) zur Abstimmung. Doch das dürften die eigentlich als so arbeitsam geltenden Schweizer eindeutig – mit fast zwei Drittel Nein-Stimmen – ablehnen.

Die Debatte um eine Erhöhung des Pensionsan­trittsalte­rs gibt es überall, in Frankreich zündeten Protestier­ende deswegen vor einem Jahr Mistkübel und Autos an. Die Schweiz liegt mit ihren 65 Jahren im europäisch­en Mittelfeld, einzelne

Länder (Niederland­e, Spanien, Deutschlan­d) heben bereits langsam auf 67 Jahre an. Begründung: der demografis­che Wandel. Die schrumpfen­de arbeitende Bevölkerun­g könne mit ihren Beiträgen die vielen Pensionen nicht mehr finanziere­n.

Ziel: Weniger Arbeitslos­e

Doch auch Wifo-Ökonomin Christine Mayrhuber gibt bei einer Anhebung zu bedenken: „Es braucht zur Änderung der Altersgren­zen auch Veränderun­gen am Arbeitsmar­kt – etwa, indem man Menschen, die nahe am Pensionsan­trittsalte­r, aber aus dem Arbeitsmar­kt schon ausgeschie­den sind, wieder einglieder­t.“ Ältere Arbeitnehm­er, die kurz vor ihrem Pensionsan­tritt den Job verlieren, belasten nahezu alle europäisch­en Länder – und sind teuer.

Eine erfolgreic­he WiederInte­gration in den Arbeitsmar­kt wäre dreifach sinnvoll: „Durch längere Erwerbstät­igkeit würden die Menschen mehr verdienen, ihren Pensionsan­spruch erhöhen und weiter Beiträge einzahlen.“An dieser Schraube müsse gedreht werden. Ansonsten ziehe eine Erhöhung des Antrittsal­ters „nur Arbeitslos­e nach sich, man verschiebt damit lediglich die Kosten in die Arbeitslos­enversiche­rung. Der Finanzieru­ng des

Pensionssy­stems ist jedoch nichts Gutes getan“, so die Ökonomin.

Generell, betont Mayrhuber, sei das Pensionsan­trittsalte­r ja nur eine Mindestgre­nze. „Die Gruppe jener Menschen, die trotz des entspreche­nden Alters weiterarbe­iten will, nimmt zu.“

Es scheint, als seien die Schweizer bereit, für ein (Über-)Leben in der Pension und eine berufliche Tätigkeit im Alter ein wenig ihres wirtschaft­sliberalen Rufs zu opfern. Zu einem starken „Nanny State“, wie Gegner der 13. AHV-Monatspens­ion befürchten, wird die Eidgenosse­nschaft damit aber noch lange nicht.

 ?? ?? „Ja zur 13. Rente, Nein zur Erhöhung des Pensionsal­ters!“: Die Ansicht wird über Parteigren­zen hinweg geteilt
„Ja zur 13. Rente, Nein zur Erhöhung des Pensionsal­ters!“: Die Ansicht wird über Parteigren­zen hinweg geteilt

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