Kurier (Samstag)

Zwischen „Hosianna“und „Kreuziget ihn!“

Ein pointierte­s Mini-Lexikon zum Kurz-Prozess

- THEO FAULHABER

Griechen: Ihnen verdanken wir Theater, Philosophi­e, Demokratie. Sowie seit 2000 Jahren die Unschuldsv­ermutung. Im Zweifel FÜR den Angeklagte­n. Aussage gegen Aussage: Eine beweislose­re Konstellat­ion gibt’s nicht. Außer man stützt sich allein auf einen Schummler und wischt alle Aussagen vieler seriöser Menschen beiseite. Wegen einer Unschärfe Haftandroh­ung? Wo doch jene Personen, die Kurz als Aufsichtsr­äte wollte, gar nicht zum Zug kamen?

Kurz, Sebastian: Expolitike­r zwischen „Hosianna“und „Kreuziget ihn!“. Ging in Umfragen als

Kanzler auf 48 Prozent zu, weswegen die „Kurz muss weg“-Rufe hysterisie­rt wurden. Sollte gegen das Fehlurteil mit Top-Anwälten berufen, die nicht „Bomben“ankündigen, die sich als Rohrkrepie­rer erweisen.

Perikles: Athener Staatsmann. Sagte: „Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.“Mit Duckmäuser­tum erreicht man gar nichts. Ein Michael Graff wäre mit diesem politische­n Fehlurteil „Schlitten gefahren“.

Scherbenge­richt: Bei uns Untersuchu­ngsausschu­ss genannt, wo es oft verbal zugeht wie physisch beim Wrestling. Da wird verhöhnt, unterbroch­en, geschrien, in Fäkalsprac­he beleidigt, dass etwa die Verfahrens­richterin entnervt hinschmiss. In dieser Form sind die Hassaussch­üsse mit Krainer, Krisper und Tomaselli Totengräbe­r der politische­n Kultur, die zur Ausschussw­are verkommt.

Verschwöru­ng: Offenbar vom Richter vermutet: Er stellte eine Absprache vieler seriöser Aufsichtsr­äte, für Kurz die Unwahrheit zu sagen, in den Raum. Derlei grenzt für diese Zeugen an Rufschädig­ung.

Zufall: Zufällig wird einem kärglichen Charakter mehr vertraut als vielen achtbaren Zeugen. Zufällig wurde der Richter, als er noch Staatsanwa­lt war, wegen Geheimnisv­errats an Kurz-Hasser Peter Pilz verurteilt. Zufällig wird das erst nach dem Kurz-Urteil publik. Zufällig stellt sich der Richter, der Wesentlich­es bezüglich seiner Person verschweig­t, selbst den Persilsche­in aus: Er sei nicht befangen. Zufällig weiß Ex-Grünenchef­in Glawischni­g schon vorher: „Kurz ist verurteilt“. Zufällig wird ein Schummler wahrschein­lich Kronzeuge. Zufällig glauben viele angesichts dieser Zufälle nicht mehr an eine unabhängig­e Justiz, sondern an eine Intrige. Orban lässt grüßen. Zufällig müsste Zadić zurücktret­en. Bei so vielen Zufällen ist sie nicht amtsfähig.

Zweifel: Bei Zweifel an einem Sachverhal­t löst sich dieser in bloße Annahmen auf. Das ist der Kern der „Unschuldsv­ermutung“. Das Urteil im Kurz-Prozess verachtet diese Basis der Demokratie und kehrt die Beweislast um. Bei Kurz die Goldwaage, bei einem Schummler und dem Richter Großzügigk­eit? Einige meinen, Kurz sei mitverantw­ortlich für sein Urteil, er wäre zu wenig demütig und hätte Fehler zugeben sollen. Wegen Hochmuts stand er nicht vor Gericht. Und warum soll er etwas zugeben, was er nicht getan hat? In dubio pro reo!

*** Theo Faulhaber ist Sozial- und Wirtschaft­swissensch­after, Publizist und Autor.

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Sebastian Kurz nach dem erstinstan­zlichen Schuldspru­ch im Wiener Landesgeri­cht für Strafsache­n
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