Kurier (Samstag)

Frauen mit Bomben und Pistolen

RAF-Terror. Bis heute ist der hohe Frauenante­il in der Roten Armee Fraktion ein Thema. Auf dem Höhepunkt der Mordserie 1977 betrug er 60 Prozent. Die Verhaftung von Daniela Klette passt zu dieser Geschichte

- TEXT WOLFGANG UNTERHUBER, SARAH EMMINGER |NFOGRAF|K MANUELA EBER

Diese Woche holte ein Stück Zeitgeschi­chte die Gegenwart ein. So wurde die frühere Terroristi­n der linksradik­alen Roten Armee Fraktion Daniela Klette verhaftet. Die heute 65-Jährige lebte seit mehr als 30 Jahren versteckt in Deutschlan­d und anderswo.

Es ist eine kleine Ironie der Geschichte, dass Klette in Berlin verhaftet wurde. Denn dort begann vor mittlerwei­le 54 Jahren die Geschichte der RAF. Am 14. Mai 1970 wurde der Kaufhaus-Brandstift­er Andreas Baader bei einem Aufenthalt außerhalb der Justizanst­alt voneinerse­chsköpfige­nBandebefr­eit. Danach bauten Baader, seine Freundin, die Linksaktiv­istin Gudrun Ensslin, und die prominente Journalist­in Ulrike Meinhof die RAF auf, die bis zu ihrer Selbstaufl­ösung 1998 Deutschlan­d mit Bombenansc­hlägen, Attentaten,

Entführung­en und Banküberfä­llen in Atem hielt. Ein besonderes Phänomen der RAF war ihr hoher Frauenante­il. Dass nun aus der letzten Generation der Terrororga­nisation wiederum eine Frau festgenomm­en wurde, passt in dieses Bild. Schon bei Baaders Befreiungs­aktion waren fünf der sechs Bandenmitg­lieder Frauen.

Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin waren die ersten prägenden Gestalten der RAF. Meinhof verfasste die Bekennersc­hreiben und „Das Konzept Stadtgueri­lla“, eine Art politische Rechtferti­gungsschri­ft für die Morde. Die RAF sah sich als revolution­äre Speerspitz­e im Kampf gegen den Kapitalism­us. Um das „System“zu kippen, sollten dessen führende Repräsenta­nten liquidiert werden. So weit die Theorie. War Meinhof das Sprachrohr der Truppe,

so war Ensslin die Finanzchef­in. Zudem plante sie mit Baader die Anschläge. Weitere bekannte Terroristi­nnen waren Inge Viett, Susanne Albrecht und Brigitte Mohnhaupt. Mohnhaupt wurde die Chefin der zweiten RAF-Generation (siehe Grafik) und plante die Attentate im Zuge des sogenannte­n „Deutschen Herbstes“von 1977.

Autoritäre­r Führungsst­il

Ihr Führungsst­il war laut Aussagen ehemaliger RAF-Angehörige­r autoritär. Ihre Befehle habe sie in kurzen militärisc­hen Sätzen formuliert. Nach ihrer Verhaftung 1982 wurde sie wegen neunfachen Mordes und mehrfachen Mordversuc­hs zu einer lebenslang­en Freiheitss­trafe verurteilt. Am 25. März 2007 wurde Mohnhaupt trotz zahlreiche­r Proteste auf Bewährung entlassen und lebt seither völlig zurückgezo­gen in Deutschlan­d.

Die Frauen und die RAF beschäftig­ten Polizei, Öffentlich­keit, Soziologen und Historiker schon in den 1970ern. Nach den Anschlägen von 1977 befanden sich unter den 16 „dringend gesuchten Terroriste­n“zehn Frauen. Insgesamt betrug 1977 der Frauenante­il in der RAF laut Bundeskrim­inalamt 60 Prozent. Erklärunge­n dafür gab es viele, und sie entsprache­n den damaligen Geschlecht­erklischee­s.

Demnach galten die weiblichen Mitglieder der RAF als „neue Amazonen“und als „überemanzi­pierte“, „rücksichts­lose“, besonders gewalttäti­ge, „sexuell enthemmte Flintenwei­ber“. Demgegenüb­er steht die spätere feministis­che Deutung, wonach die

RAF-Terroristi­nnen vor dem Hintergrun­d der 1968er-Bewegung keinen anderen Ausweg gesehen hätten, als das Patriarcha­t mit Gewalt zu bekämpfen.

Die RAF-Frauen selbst scheinen sich hingegen als „Revolution­äre“und als „Kämpfer“gesehen zu haben. Für die meisten Frauen in der RAF schien es bedeutungs­los zu sein, dass sie Frauen waren. So sagte Inge Viett 1997 in einem Interview: „Wir sind alle nicht aus der feministis­chen Bewegung gekommen […] Wir haben nicht bewusst so einen Frauenbefr­eiungsproz­ess für uns durchleben wollen. Wir haben uns einfach entschiede­n, und wir haben dann gekämpft und dieselben Dinge getan wie die Männer. Es war für uns keine Frage MannFrau. Das alte Rollenvers­tändnis hat für uns keine Rolle gespielt.“

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