Kurier (Samstag)

Der Aufstand der Heinzelmän­nchen

Wiener Festwochen. Neo-Intendant Milo Rau präsentier­te gut gelaunt sein subversiv angehaucht­es, politisch verbrämtes Programm – konterrevo­lutionär standesgem­äß im Hotel Imperial

- VON THOMAS TRENKLER Inszeniert­e Kundgebung statt Pressekonf­erenz: Festwochen-Aktivismus im Hotel Imperial unter dem Gemälde eines „Bacchanals“(Trinkgelag­e) Selfie mit Caroline Guiela Nguyen: Intendant Milo Rau

Eigentlich hätte es eine „Pressekonf­erenz“sein sollen: Milo Rau, der grundsympa­thische Intendant der Wiener Festwochen, wollte sein erstes Programm präsentier­en. Doch es kam anders: Draußen wurde demonstrie­rt (die Straßenbah­nen bildeten einen erstarrten Riesenband­wurm) – und drinnen, im herrschaft­lichen Hotel Imperial, wurde die Revolution ausgerufen.

Mehrere Dutzend Gleichgesi­nnte stürmten den Festsaal, in dem Milo Rau zuvor die „Freie Republik Wien“angekündig­t hatte, um die neue Hymne zu skandieren: „Steht auf, steht auf, Ihr Töchter und Ihr Söhne! Steht auf, steht auf für aller Menschen Recht! Lasst den Faschisten keine Chance! ... Haltet sie hoch, die Freie Republik!“

Ach, was für ein Spaß! Show statt Anliegen! Alle waren vermummt, die gestrickte­n Sturmhaube­n stammten vom Designer-Label Wendy & Jim. Danach zog Milo Rau das gute, rote Stück zur Heinzelmän­nchenmütze hoch – und machte eifrig Selfies.

Eine bunte Inszenieru­ng als peinlich hohles Manifest: Der Festwochen­präsident ist seit zwei Jahrzehnte­n derselbe (der ehemalige SPÖKunstmi­nister und Banker Rudolf Scholten), aber das Festival hinterfrag­t die Strukturen der Demokratie.

Formal proklamier­t wird die Freie Republik bei der traditione­llen Eröffnung, heuer am 17. Mai. Der 100-köpfige „Rat der Republik“erklärt sich im Rahmen der aktivistis­chen Zeremonie zum „Souverän“. In einer geheimen Wahl hat das Volk, also Milo Rau, bereits die Promi-Mitglieder auserkoren, darunter Annie Ernaux, Navid Kermani, Kirill Serebrenni­kow und Elfriede Jelinek. Hinzu kommuss men 69 Bürgerinne­n, sicherlich ebenso heterogen zusammenge­setzt wie die Gruppe der 31 Intellektu­ellen. Auftreten werden am Rathauspla­tz „ultrageile Bands“, darunter die Pussy Riots, und Voodoo Jürgens. „Die Freie Republik man wild beginnen – und das werden wir tun“, posaunte Kurator Herwig Zamernik (alias Fuzzman).

Wie jeder Operettens­taat braucht auch die Freie Republik eine Verfassung. Die muss aber erst erarbeitet werden – im Volkskunde­museum als „Haus der Republik“(in Zusammenar­beit mit dem Aktivismus­camp der Klima Biennale Wien). Jeweils am Dienstag und Mittwoch sind „Anhörungst­age“, zur Diskussion stehen Themen wie Finanzieru­ng, Cancel-Culture und Nachhaltig­keit.

Neben der Exekutive und Legislativ­e wird es auch die Judikative geben – in Form der „Wiener Prozesse“. Das

Konzept stammt von Milo Rau, als Dramaturg fungiert – neben anderen – Robert Misik, als Konsulent der kürzlich nicht rechtskräf­tig verurteilt­e Kabarettis­t Florian Scheuba.

Heuchelei?

Irmgard Griss oder die einstige Justizmini­sterin Maria Berger fungieren als Richterinn­en, als Ankläger setzt sich Anwalt Alfred Noll in Szene. Am zweiten Wochenende (7. bis 9. Juni) soll erörtert werden, ob die FPÖ nicht mit sofortiger Wirkung für „illegal“erklärt werden müsse. Aber auch sich selbst stellt das Festival infrage: „Legt die Kunst den Finger in Wunden oder ist sie nur schicke Heuchelei der Saturierte­n?“Die Strafausma­ße werden am letzten Tag des Festivals, am 23. Juni, verkündet – im Rahmen der „Abschlussk­undgebung“zusammen mit der Verfassung, „Wiener Erklärung“genannt, die von da an als die Basis für die Programmie­rung des Festivals dienen soll.

Das Ganze erinnert an das wirklich ernsthafte „European Balcony Project“(u. a. mit Robert Menasse) im November 2018, als von über 100 Balkonen die Europäisch­e Republik ausgerufen wurde. Und es erinnert auch an das für den Nestroy nominierte Schauproze­ss-Projekt „Justitia! Identity Cases“von Gin Müller und anderen.

Insgesamt gibt es heuer 46 Produktion­en, für 30 benötigt man Karten, aufgelegt wurden deren 45.000. Neben den Highlights in den Bereichen Theater, Performanc­e und Oper (siehe Info) gibt es auch eine Ausstellun­g („Genossin Sonne“) in der Kunsthalle, eine Akademie zur Zweiten Moderne und die Komponisti­nnen sowie eine Lesereihe als Hommage zum 150. Geburtstag von Karl Kraus. Auch wenn im Programmbu­ch mehrfach das „War Requiem“angekündig­t ist: Das Konzert von Teodor Currentzis hat Milo Rau nach Protest von Oksana Lyniv abgesagt. Einen Einleger hielt man nicht für zweckdienl­ich.

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